Frau Paula Trousseau
darüber. Vielleicht hatte ich es meinem Baby zu verdanken, dass ich endlich zu mir selbst kam. Mein Baby war schon jetzt mein bester Freund, obwohl es noch nicht auf der Welt war. Wenn mir noch jemals eine Freundin etwas vorjammern sollte, würde ich ihr vorschlagen, sich umgehend ein Baby anzuschaffen, damit sind alle Probleme auf einen Schlag gelöst.
»Zum ersten Mal in meinem Leben denke ich an mich«, wiederholte ich langsam meine Worte, aber diesmal sagte ich es nicht zu ihm, sondern zu mir, und lächelte ihn dabei an.
Das Studium war schön. Vielleicht die beste Zeit in meinem bisherigen Leben. Ich war selbständig und unabhängig, die Eltern nervten nicht, und Hans hatte sich zähneknirschend damit abgefunden, eine Frau zu haben, die ihren Kopf durchsetzt. Ich musste mich vor keinemfür irgendetwas verantworten, und ich konnte malen. Ich konnte und sollte und musste den ganzen Tag malen, das war herrlich. Ich habe jede Stunde an der Hochschule genossen, für mich war jeder Tag an dieser Schule ein Festtag. In den Ferien war ich bei Hans in Leipzig oder wir verreisten gemeinsam, aber in diesen Zeiten habe ich mich ständig danach gesehnt, wieder nach Berlin zu fahren und zur Schule zu gehen. Ich habe alle Fächer gern studiert, auch die theoretischen und politischen, ich fand alles wichtig und aufregend und konnte nicht genug davon bekommen. In der Plastik war ich recht gut, und in der Schrift, nur in Kulturgeschichte langweilte ich mich.
Im ersten Semester hatten wir noch keinen Unterricht bei Professor Tschäkel, doch er lud mich in seine Klasse ein, was ich natürlich sofort annahm. Er behandelte mich sehr zuvorkommend, wie eine Prinzessin, weil ich schwanger war oder weil ich ihm gefiel. Die Kommilitoninnen bemerkten es natürlich sofort und dichteten mir ein Verhältnis mit ihm an, aber mit Tschäkel hatte ich nie etwas. Ich konnte ihn gut leiden, seit unserem Gespräch über meine Schwangerschaft, und er hatte mich gern, das war alles. Vor den Weihnachtsferien fragte er mich, ob ich im neuen Jahr nicht einmal Modell in seiner Klasse sitzen wolle.
»Nackt?«, fragte ich entsetzt.
Er lachte und sagte: »Ganz wie Sie wollen, Paula. Ich möchte nur, dass die Klasse eine Schwangere zeichnet. Und ich möchte Sie zeichnen. Nackt oder nicht nackt, das ist nicht wichtig, die Schwangerschaft möchte ich sehen.«
Ich war ganz atemlos und nickte nur. In den Weihnachtsferien dachte ich immer wieder darüber nach. Mich störte der Gedanke, mich vor den Kommilitonen auszuziehen. Ich wusste ja, wie sie über manche der Modellereden und nach der Stunde über sie herziehen. Und wenn die Jungen von einem Modell mal begeistert waren, dann gab es ganz gewiss ein Mädchen, das etwas auszusetzen fand und es laut verkündete. Ich scheute das Gerede, zumal sie alle im dritten Studienjahr waren und ich im ersten Semester. Für Tschäkel allein hätte ich es sofort gemacht, bei ihm hatte ich keine Hemmungen. Mehrmals ging ich den Kleiderschrank durch, um etwas zu finden, was ich anziehen könnte, so dass ich nicht nackt war, aber Tschäkel seine Schwangerschaft sehen konnte. Zur ersten Zeichenstunde im neuen Jahr bei Tschäkel erschien ich in meinem rosafarbenen Kostüm. Er erkundigte sich, ob ich es mir überlegt habe, und als ich nickte, fragte er, ob ich gleich bereit sei oder erst in einer der nächsten Stunden Modell sitzen wolle.
»Bringen wir es hinter uns«, sagte ich.
Er stellte sich vor die Klasse und informierte sie, dass heute eine Schwangere gezeichnet werde und ich mich freundlicherweise bereit erklärt habe, das Modell abzugeben. Er erwarte, dass alle diese Entscheidung ihrer Kommilitonin zu schätzen wissen, und er wolle ein paar Blätter zu sehen bekommen, für die er sich nicht schämen müsse. Dann sah er zu mir, ich stand von meinem Platz auf und ging zu ihm nach vorn.
»Wo wollen Sie sich hinsetzen, Paula?«, fragte er und wies auf die Sammlung alter Möbelstücke neben der Tür.
»Ich setze mich in den Sessel«, sagte ich leise.
Er nickte und rückte den Armstuhl, auf den ich gezeigt hatte, in die Mitte des Saals. Tschäkel sah mich fragend an und erkundigte sich, ob ich in dem Kostüm Modell sitzen oder nicht doch etwas ablegen wolle.
»Wir wollen schließlich eine Schwangere zeichnen«, sagte er, »von Ihrem Bauch müsste etwas zu sehen sein.«
Ich nickte, dann betrachtete ich die Kommilitonen,einen nach dem anderen. Ein Mädchen lächelte mir aufmunternd zu, die anderen waren mit ihren
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