Frau Paula Trousseau
Stiften und den Zeichenblöcken beschäftigt und schauten nur gelegentlich zu mir, um zu sehen, wie weit ich war. Für sie war ich bloß ein Modell, das sie zu zeichnen hatten. Ich ging hinter die alte Wandtafel, dort zogen sich gewöhnlich die Frauen und Männer aus oder um, die an unserer Schule für ein paar Mark als Modell arbeiteten, und schlüpfte aus den Schuhen. Dann legte ich das Kostüm ab und zog mir den Unterrock und die Strümpfe aus. Ich war nur noch mit einem schwarzen T-Shirt und einer Unterhose bekleidet. Das Shirt wurde von meinem Bauch nach oben geschoben, die Hose nach unten. Die prächtige Kugel, zu der mein Bauch mittlerweile angewachsen war, duldete keine Unterwäsche, sie drängte sich hervor und alles andere beiseite. Ich hatte das Gefühl, von meinem Bauch beherrscht zu sein.
Ich schaute kurz zu Tschäkel, ging zu dem Armstuhl und setzte mich. Ich schlug die Beine übereinander, dann stellte ich sie nebeneinander und streckte schließlich das rechte weit vor. Einen Moment lang dachte ich daran, die Arme vor der Brust zu verschränken oder vielmehr, sie über meinen Bauch zu legen, doch dann legte ich sie einfach auf die Armlehnen, so locker und bequem, wie es mir möglich war.
Ich hatte ein paar Wollsocken mitgenommen, die ich zusammengerollt in der Hand trug, ich wollte sie mir anziehen, falls mir kalt wird. Tschäkel hatte sich auf meinen Arbeitsplatz gesetzt, er nickte mir zu und sagte, ich solle mich bequem hinsetzen, dann bat er, dass ich mich zum Fenster drehe, er wolle mein Halbprofil haben.
»Und den Kopf hoch, Paula. Ich will Ihren Stolz sehen. Ein stolzes, schwangeres Mädchen.«
Es war ganz einfach. Die Kommilitonen zeichneten, sieschauten prüfend und fixierend zu mir, dann beugten sie sich über ihr Blatt, um zu arbeiten. Tschäkel freute sich. Auch er zeichnete zügig, und wann immer er mir ins Gesicht sah, strahlte er. Ich wurde ruhig und sicher.
Nachdem ich fünf Minuten still gesessen und meine Position zu halten versucht hatte, stand ich auf, zog das Shirt und die Unterhose aus, die Hose warf ich hinter die Wandtafel, das Shirt legte ich als dünnes Kissen auf den Stuhl und setzte mich wieder. Nun waren sie überrascht, aber keiner sagte etwas. Tschäkel machte mit der Hand eine anerkennende Geste, die anderen sahen mich an, schauten mir in die Augen, dann betrachteten sie den nackten Körper. Für einen Moment war es völlig still im Zeichensaal, weder war das Knistern von Papier noch das fast unhörbare Geräusch des Strichelns der Stifte und Kohle wahrzunehmen. Es war so still, dass man die Schritte auf dem Gang über dem Saal hörte.
»Bravo«, rief Tschäkel und klatschte dreimal in die Hände, »wunderbar, Paula, wunderschön.«
Er riss das gerade benutzte Blatt des Zeichenblocks ab, ließ es auf den Boden fallen und begann auf einem neuen Blatt zu skizzieren. Auch die anderen wechselten die Blätter, und nur zwei oder drei, ich saß weiterhin im Halbprofil mit dem Gesicht zum Fenster und konnte die Klasse bloß aus dem Augenwinkel sehen, zeichneten einfach weiter.
Tschäkel hatte Recht, eine schwangere Frau brauchte überhaupt nichts, sie war so schön, dass sie auf alles verzichten konnte. Und mein gewaltiger Bauch stellte im Wortsinn ohnehin alles in den Schatten. Er war bedeutsamer als mein Kopf und meine Brüste, und er verdeckte vollständig mein Geschlecht. Er beherrschte mich, und das konnten und sollten auch alle sehen.
Ich thronte eine halbe Stunde in der Mitte desZeichensaals. Irgendwann bat mich Tschäkel, ich möge mich en face hinsetzen. Jetzt konnte ich ihm und den Studenten ins Gesicht sehen. Sie schauten immer wieder von ihrem Blatt auf, um mich zu betrachten, und ich sah, dass sie jedes Mal nicht allein den Körperteil fixierten, den sie gerade skizzierten, sie sahen mir vielmehr beiläufig und wie zufällig in die Augen, aber ich spürte, sie wollten sich vergewissern, wie ich es aushielt, sie wollten überprüfen, ob ich meinem Mut gewachsen war. Ich lächelte sie an. Ich fühlte mich wie eine Göttin. Ich hatte Lust, aufzustehen und nackt, wie ich war, zu Tschäkel zu gehen, um ihn zu küssen. Auf einmal war alles ganz einfach. Und plötzlich erinnerte ich mich an die kleine Paula, das verfrorene Schulmädchen, das stundenlang auf einer eisigen Parkbank an der Bleiche gesessen hatte, weil sie gemalt werden wollte.
Die Sitzung machte mich zum Star der Schule. Alle hatten davon gehört, Studenten wie Dozenten, und sie lächelten, wenn sie
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