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Frau zu sein bedarf es wenig: Roman (German Edition)

Frau zu sein bedarf es wenig: Roman (German Edition)

Titel: Frau zu sein bedarf es wenig: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
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dem Mund und klebte ihn mitten auf einen grauen Plastikfelsen. Fiel gar nicht weiter auf, der Kaugummi auf dem Felsen!
    Da gibt es doch so ein Lied von Schönberg, das heißt so ähnlich, dachte ich, aber in meiner Nervosität kam ich nicht auf den Titel. Walpurgis hätte ihn bestimmt gewusst, aber die wollte ich in dieser Angelegenheit im Moment nicht stören.
    Die Ouvertüre verklang. Es-Dur. Ohne Gnade.
    Der Vorhang ging auf. Wir standen hinter unserer Tempelwand, Schneewitzchen, Rosenrot und Dornrötzchen, und unsere Knie zitterten dreimal so schnell wie die Geigenbögen der Streicher unter uns.
    »Zu Hülfe!«, begann der Tamino. »Zu Hülfe, sonst bin ich verloren!«
    Der fühlte sich also auch nicht besser. Obwohl er mit nichts anderem zu kämpfen hatte als mit einem Drachen aus Pappe. Na ja, zugegeben: Die Arien, die er noch abliefern musste, waren nicht von Pappe.
    Laut Inszenierung fiel er schon nach wenigen Takten in Ohnmacht, ein Regiegag, um den ich ihn beneidete, der aber als szenische Einlage in meinem Repertoire schon recht abgegriffen war. Der Inspizient gab uns ein Zeichen, hinter der wackligen Pappwand hervorzukommen. Wir droschen mit unseren Besenstielen auf den Dinosaurier ein und spielten uns damit frei. »Triumph!«, intonierten wir sehr professionell während des Dreschens, »Triumph!« Dann war zum Abladen von Aggressionen keine Zeit mehr, denn jetzt kam ein zusammenhängender Satz: »Sie ist vollbracht, die Heldentat!«
    Der Angstschweiß stand mir auf der Stirn.
    »Er ist befreit durch unseres Armes Tapferkeit!«
    Ich dachte an Klaus.
    Oh, wie passend war doch diese Szene!
    »Ein holder Jüngling, sanft und schön!«
    Paulchen, mein geliebtes Paulchen! Morgen wurde er ein Jahr alt, und ich war nicht dabei, um ihm beim Ausblasen der einen Kerze behilflich zu sein! Stattdessen stand ich auf einer staubigen Kleinstadtbühne in einer lächerlichen Mehrzweckhalle und haute mit einem lächerlichen stanniolumwickelten Besenstiel auf einen lächerlichen stanniolumwickelten Pappdrachen ein!
    Statt das alles im wirklichen Leben zu tun!
    War diese Bühne hier der Altar, auf dem ich mein Paulchen opferte?! Und Klaus?!?
    »Nein, nein, das kann nicht sein, ich schütze ihn allein!«
    Nun endlich stellte es sich ein, das sagenumwobene Gefühl, seinen darstellerischen Neigungen in aller Öffentlichkeit nachgehen zu dürfen. Großartig, ganz großartig!!
    »Was wollte ich nicht darum geben, könnt’ ich mit diesem Jüngling leben! Hätt’ ich ihn doch so ganz allein! Doch keine geht, es kann nicht sein!«
    Die alte breiige Inbrunst ergriff wieder von meinen Stimmbändern Besitz.
    Das war hier kein Spiel!
    Leute, das ist echt! Die Diva steht da mit dem Besen und erschlägt den Drachen! Sie erkämpft sich das alleinige Sorgerecht für ihren Sohn! Ich fühlte mich großartig. Wie doch kreatives Spiel befreien kann!
    »Du Jüngling, schön und liebevoll, du trauter Jüngling, lebe wohl! Bis ich dich wiederseh’, bis ich dich wiederseh’ …«
    Morgen würde ich ihn wiedersehen.
    Morgen, an Paulchens Geburtstag. Ich würde zu ihm gelangen, und wenn ich durch die Nordsee schwimmen müsste. Oder auf meinem stanniolumwickelten Besenstiel durch die Lüfte fliegen. Was Walpurgis konnte, konnte ich auch. Und so wanderten wir singend hinter unsere Pappwand zurück, Antje, Walpurgis und ich.
    Für mich war es ein großartiges Erlebnis.
    Mein erster geglückter szenischer Auftritt.
    WAHN-SINN.
    Am nächsten Tag saß ich im Flugzeug.
    Robby hatte mich bis auf das Rollfeld gefahren.
    »Pauline, hast du dir das auch gut überlegt? Morgen Abend ist Premiere!«
    »Klar. Noch dreißig Stunden. Es muss also gehen.« Ich war so cool wie noch nie. Irgendwie wusste ich: Es ging um mein Leben. Und nicht nur um meins.
    »Soll ich dich nicht lieber fahren?«
    »Nein. Diesen schweren Weg muss ich allein fliegen. Das verstehst du nicht!« Ich drückte ihn so fest, als wäre es ein Abschied für immer.
    Es war so ein mörderischer Zweisitzer mit Propeller, aber er flog mich zu meinem Sohn. Und zu Klaus.
    Antje hatte mir in der Garderobe den Tip gegeben.
    »Charter dir doch ‘n Flieger«, hatte sie lässig gesagt, während sie sich den Busenansatz puderte.
    »Klar, mach’ ich«, hatte ich noch lässiger gesagt. »Dass ich da aber auch nicht eher drauf gekommen bin! Was mag denn so ein hüpfendes Taxi kosten?«
    »Einen Limburger.«
    »Wie meinen? Einen Hamburger oder einen Limburger Käse oder was?«
    Vielleicht ließen sich die

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