Frau zu sein bedarf es wenig: Roman (German Edition)
heute Abend Zeit hätte und dann zwei Wochen lang nicht mehr.
Das war natürlich schiere Erpressung. Andererseits musste ich ihm das glauben: Sänger seiner Güte haben zwei Wochen vor Weihnachten wirklich keine Zeit.
»Ja wenn das so ist …«, sagte ich und rappelte mich mühsam von meiner Decke hoch, um sehr laut und demonstrativ in meinem Terminkalender zu blättern, »ich hätte zwar heute Abend eine Probe« – Seitenblick auf Frau Schmalz-Stange, aber die verzog keine Miene, ein echter Profi auf ihrem Gebiet! –, »aber die Probe ist sicherlich gegen neun beendet!«
Ich hätte zwar einen Säugling, aber der Säugling sei sicherlich gegen neun im Bett, konnte ich doch nicht sagen. Was hätte Simon Reich von mir gedacht?!
Wir verabredeten uns um Punkt neun am Dom. Und zwar unter dem heiligen Petrus.
Ich wusste zwar nicht, welche von den steinernen Figuren am Dom Petrus heißt, aber Simon wusste es auch nicht, und so würden wir uns schon nicht verfehlen.
»Also dann um neun«, sagte ich möglichst sachlich, damit Frau Schmalz-Stange weiterhin den Eindruck haben möge, es handele sich um ein rein berufliches Telefonat.
»Punkt neun am Petrus«, sagte Simon Reich, »und ich hoffe auf bessere Stimmung heute Abend! «
»Bis dahin ist das Klavier gestimmt«, sagte ich und legte auf.
Der Hörer war noch warm, da erhob sich Sascha gnädigst vom Sofa und verließ mitsamt keifendem Benjamin Blümchen den Raum.
Auf der Domplatte wehte wie immer ein starker Wind. Die Touristen, die Richtung Bahnhof gingen, mussten sich regelrecht nach vorn werfen, um von der Stelle zu kommen. Der Dom ragte majestätisch und grünlich beleuchtet in den milchigen Winterhimmel. Ich stieg aus der U-Bahn und fürchtete mich sehr.
Was, wenn ich Simon Reich heute Abend nicht mehr gefiel?
Was, wenn er die Bübchen-Creme an meinen Fingern roch? Um möglichst ganz natürlich und unverkrampft zu erscheinen, hatte ich mir keinerlei Mühe mit Make-up und solchen Äußerlichkeiten gemacht. Simon Reich sollte mich gefälligst so akzeptieren, wie ich war!
Aber vielleicht stand er auf knallroten Minirock und hochhackige Pumps? War ich denn überhaupt attraktiv genug für einen solchen Mann von Welt? Der konnte doch jede haben, jede! Und ich hatte noch lange nicht wieder die Idealfigur erreicht, wenn ich da nur an meinen stillfreudigen Busen dachte …
Siehst du, Kind, das hat die Natur schon so eingerich…
Ruhig, Tante Lilli! zischte ich. Ich will dieses Gefasel jetzt nicht hören! Siehst du nicht, dass ich furchtbar nervös bin!
Vorsichtig sah ich mich um. Die Uhr am Verkehrsamt zeigte haargenau auf neun.
Sollte ich wirklich superpünktlich sein? Welchen Eindruck würde das machen? So als hätte ich den ganzen Tag auf nichts anderes gewartet?
Also unpünktlich sein. Klar. Frau von Welt kommt ja von einer Probe, und die hat eben etwas länger gedauert. Wenn der Herr Kammersänger bereits seit zwanzig Minuten mit weißen Rosen unter der Statue wartet, kann die Diva das nur milde lächelnd bedauern.
Allerdings ist sie es natürlich nicht anders gewöhnt, als dass man stundenlang im Kalten auf sie wartet. Allein schon die vielen Autogrammjäger, die ihr durch ganz Europa folgen …
Ich lugte unauffällig Richtung Domportal. Da standen allerhand Gestalten; einer spielte Ziehharmonika, ein Anderer rief den vorbeieilenden Gegenwindbekämpfern zu, dass die Welt in wenigen Tagen untergehen werde und dass man noch umkehren könne, wenn man sich jetzt vom Wind in die andere Richtung blasen lasse. Ein Simon Reich war nicht zu sehen, weder im schwarzen Anzug noch in sonst einer Verkleidung.
Vielleicht war der heilige Petrus an der Seitenfront? Ich änderte die Richtung und kämpfte mich gegen den Wind voran.
Am Seitenportal trainierten einige Skateboard-Fahrer. Zwar hatten sie alle eine Pudelmütze auf, aber niemand war so schön und reif und männlich wie Simon Reich.
Um Irrtümern aller Art vorzubeugen, umwanderte ich noch die ganze Dombauhütte und suchte unter den kaputten, einarmigen oder völlig verstümmelten Figuren der Steinmetzwerkstatt, ob denn nicht eine darunter sei, die Petrus hätte sein können.
Doch nein. Weder Simon noch Petrus war irgendwo zu entdecken.
Inzwischen war es Viertel nach neun.
Sollte Simon schon wieder gegangen sein? Bestimmt ließ er nicht lange mit sich fackeln. Es war ganz klar kein Typ Mann, der Frauen wie mir nachläuft. Deshalb war er ja so aufregend!
Ich beschloss, ihm noch eine Chance zu geben, und
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