Frauen al dente. (German Edition)
ihr Gesicht. Mit einem Papiertaschentuch versuchte sie, die Reste ihres Augen-Make-ups unter Kontrolle zu bringen. Dennoch sprachen ihre rotverquollenen Augen Bände. Die Sprechstundenhilfe war so rücksichtsvoll, sie nicht darauf anzusprechen.
Doch wenige Minuten später, als sie allein in einem der Sprechzimmer auf die Ärztin wartete, entdeckte Hella einen gelben Notizzettel, der mit einer Büroklammer an ihre Karteikarte geheftet war. ›Depressiv?‹ stand dort in krakeliger Schrift.
»Ich bin nicht depressiv«, stellte Hella entrüstet klar, als sie endlich der Ärztin gegenüber saß. »Mich hat vorhin nur ein wenig der Weltschmerz gepackt, daß ist alles.«
Die Ärztin hieß Frau Doktor Keller und war kaum älter als Hella selbst. Sie strömte Ruhe und Gelassenheit aus. Hella spürte, wie sie Vertrauen faßte.
Jetzt lächelte Frau Dr. Keller verständnisvoll. »Ich glaube, jede von uns kennt das Gefühl. Werden Sie in letzter Zeit öfter vom Weltschmerz gepackt?«
»Überhaupt nicht! Ganz im Gegenteil, alles läuft bestens in meinem Leben, beruflich, privat. Wahrscheinlich haben mich nur die vielen dicken Bäuche im Wartezimmer verrückt gemacht.« Hella lächelte kläglich.
»In unserem Alter überlegt man es sich natürlich unwillkürlich, wie es um den eigenen Kinderwunsch bestellt ist. Da wir in etwa gleichaltrig sind, spreche ich aus Erfahrung. Wünschen Sie sich eigene Kinder?«
Hella fühlte, wie ihre Handflächen feucht wurden. Sie wischte sie an ihrem Rock ab. »Ich habe nie darüber nachgedacht. Das heißt, eigentlich habe ich mich entschieden«, verbesserte sie sich rasch. »Wenn Sie als Frau Karriere machen wollen, dann müssen Sie sich entscheiden. Familie oder Beruf, beides zusammen geht nicht. Jedenfalls dann nicht, wenn Sie eine Sache hundertprozentig machen wollen.«
Für den Bruchteil einer Sekunde schien es, als wollte Frau Dr. Keller Hella widersprechen, doch dann erhob sie sich und wies Hella lächelnd den Weg hinter den Wandschirm, der als Sichtschutz diente. »Machen Sie sich bitte frei.« Eine Reaktion, die Hella stärker verunsicherte, als offener Widerspruch.
Die Untersuchung ihres Unterleibes verlief gewohnt sorgfältig und gründlich und war in wenigen Minuten erledigt. Ohne Befund. Doch als Frau Dr. Keller Hellas Brüste abtastete, stutzte sie plötzlich. »Ich fühle hier eine kleine Verdickung, möglicherweise einen Knoten. Wie lange haben Sie ihn schon?«
Hella spürte, wie ihr das Blut aus dem Kopf wich. »Ich habe keinen Knoten«, widersprach sie automatisch.
Frau Dr. Keller nahm Hellas rechte Hand und führte sie an die linke Brust. »Fühlen Sie selbst«, bat sie. »Die Verdickung liegt genau neben der Brustwarze. Spüren Sie, wie sie sich bewegt?«
Hella tastete vorsichtig an der Stelle herum, die ihr die Ärztin gezeigt hatte. Sie hatte sich immer schon gefragt, ob sie je in der Lage sein würde, einen Krebsknoten selbst zu ertasten. Und jede Tastuntersuchung, die sie an sich durchführte, hatte sie ratloser zurückgelassen. Sie spürte zahlreiche Verdickungen, mal mehr, mal weniger stark, besonders, seitdem die Schmerzen in den Brüsten eingesetzt hatten. Und nun sollte sich in ihrer Brust tatsächlich ein Knoten, vielleicht sogar ein Krebsknoten eingenistet haben? Ekel vor dem eigenen Körper erfaßte sie, und entsetzt ließ sie ihre Hand sinken.
»Es ist überhaupt nicht gesagt, daß es sich bei Ihnen wirklich um einen Knoten handelt. Aber sicher ist sicher. Ich werde Sie an eine Radiologin überweisen, eine ausgesprochene Expertin für Mammografie.« Frau Dr. Keller schrieb bereits die Überweisung, während Hella sich hinter dem Wandschirm benommen anzog.
»Sie brauchen keine Angst zu haben. Die Kollegin führt die Mammografie sehr einfühlsam und sanft durch, nicht so grobschlächtig wie viele männliche Kollegen.«
Wahrscheinlich beabsichtigte Frau Dr. Keller, ihre Patientin zu beruhigen, doch tatsächlich vergrößerte sie Hellas Unsicherheit nur noch. Natürlich war Mammografie kein Fremdwort für sie, Hella besaß jedoch nicht den geringsten Schimmer, wie eine solche Untersuchung vor sich ging. Begriffe wie grobschlächtig empfand sie in diesem Zusammenhang als nicht sehr ermutigend.
Mit der Überweisung in der Hand und der Empfehlung, sich, so rasch es ging, bei der Radiologin einen Termin geben zu lassen, verließ Hella die Praxis. Am liebsten hätte sie sich wie ein Tier in eine dunkle Höhle zurückgezogen, um in Ruhe nachzudenken. Sie
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