Frauen al dente. (German Edition)
Nährboden für die ständigen Spannungen zwischen ihnen. Zum hundertsten Mal an diesem Tag fuhr ihre Hand zu dem Knoten in ihrer linken Brust. War er noch zu spüren? Oder hatte er sich vielleicht doch aufgelöst? Unbemerkt, wie er entstanden war? Nächste Woche würde sie sich einen Termin bei der Radiologin geben lassen. Bestimmt,Hella schlüpfte aus ihrer Bluse Marke ›Bankfachfrau‹. Die Jacke ihres raffiniert-schlichten Seidenkostüms auf bloßer Haut verlieh ihr das gewisse Etwas. Kunstvoll drapierte sie ihr geliebtes Bogner-Tuch im Ausschnitt. Ihr Verehrer sollte stolz auf sie sein.
»Sie sehen bezaubernd aus«, begrüßte er sie programmgemäß mit strahlendem Zahnpastalächeln. Einmal mehr fielen ihr seine ausgezeichneten Manieren auf. Er half ihr tatsächlich in den Wagen.
Sie fuhren über die Kniebrücke auf die Autobahn in Richtung Krefeld.
»Ich hoffe, Sie haben nichts dagegen, wenn ich Sie zum Essen entführe. Ich kenne nämlich einen gemütlichen Landgasthof, der Ihnen gefallen wird. Hervorragende Küche und viel Atmosphäre. Doch wenn Sie lieber in Düsseldorf bleiben wollen, brauchen Sie es nur zu sagen.«
»Ich liebe Überraschungen.« Eine glatte Lüge. Doch Hella war finster entschlossen, diesen Abend zu genießen. Ein Mann wie Jens Ebert war im Augenblick pure Medizin. Die wandelnde Bestätigung ihrer Weiblichkeit. Höflich, rücksichtsvoll, altmodisch galant trotz seiner Jugend und dazu noch unverschämt gutaussehend. Genau der Richtige, um die schleichende Panik in ihr zu vertreiben.
Die Bankerin in ihr kalkulierte allerdings ein, daß ihr eines Tages von ihm die Rechnung präsentiert würde.
Nach Schweinefiletspitzen mit Kirschen und Kroketten, Mousse au chocolat und Mengen von Gewürztraminer, die auch den letzten Rest von Hemmung wegspülten, beschloß Hella, daß sie in dieser Nacht von Jens Ebert mehr als höfliche Konversation genießen wollte. Seit Paul hatte sich kein Mann mehr derart viel Mühe gegeben, ihr zu gefallen. Und je mehr Alkohol in ihrem Blut kursierte, desto intensiver erinnerte sie sich an seinen überaus ansehnlichen, knackigen Körper. Von Marlen getestet und für gut befunden. Konnte es für eine seelisch angeschlagene Mittdreißigerin Aufbauenderes als eine Nacht mit einem jüngeren Mann geben? Hella nutzte den obligatorischen Gang zur Toilette, um sich nach freien Gästezimmern zu erkundigen.
»Ein Angebot, mehr nicht«, sagte sie, als sie ihm wenig später den Zimmerschlüssel über den Tisch schob.
»Ein Angebot, das ich unmöglich ausschlagen kann«, lächelte er.
Aneinandergeschmiegt verließen sie das Restaurant. Zumindest wirkte es auf Außenstehende so. Dank des Gewürztraminers mußte Jens Hella sanft stützen, als sie die Treppe hinauf in den ersten Stock stiegen. »Du bist reizend, wenn du einen Schwips hast«, raunte er ihr ins Ohr. »Nicht mehr so gnadenlos distanziert, viel offener.«
Oh ja, Hella fühlte sich ausgesprochen offen. Und ihr wurde noch offener zumute, als er sie kurz darauf zu streicheln begann. Langsam und hingebungsvoll und unermüdlich …
Kapitel 12
»Mein silbernes Medaillon ist verschwunden. Dabei bin ich sicher, daß ich es in die oberste Schublade meiner Kommode gelegt habe. Dafür ist mein buntes Halstuch wieder aufgetaucht. Seitdem Karin hier arbeitet, scheint es bei uns zu spuken.« Barbara warf sich mißmutig auf den Stuhl. Marlen hatte Croissants aufgebacken, die nun verführerisch duftend in einer Schale auf dem Küchentisch standen, doch sie schenkte ihnen kaum einen Blick. Ärgerlich fuhr sie sich mit den Fingern durch das kurzgeschnittene Haar.
Überrascht ließ Marlen die Zeitung sinken. »Du spinnst doch total. Karin ist mit Lisa voll ausgelastet. Für Kindereien fehlt ihr die Zeit.«
Barbara griff nach einem Croissant und tunkte ihn in den Kaffee. »Das Wochenende war ziemlich öde, fandest du nicht auch? Nichts als frische Luft. Mein eisgekühlter Campari in rauchiger Bistroluft hat mir richtig gefehlt.«
Marlen lachte laut auf. Sie fischte in der Tasche ihres Morgenrockes nach einem Bleistiftstummel, den sie für alle Fälle stets bei sich trug. »Wirklich unglaublich, was heutzutage in der Welt passiert. In Frankreich wurde eine junge Frau nackt auf die Straße gejagt, nur weil sie in einem Restaurant ihre Zeche nicht zahlen konnte.« Marlen umrahmte die Notiz dick.
»Besser nackt auf der Straße als überhaupt keine Abwechslung«, versuchte es Barbara, in der geringen Hoffnung, zu provozieren.
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