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Frauen, die Geschichte machten

Titel: Frauen, die Geschichte machten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reinhard Barth
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bequemen und dabei noch spannenden Zugang zu den Ereignissen
     der Geschichte, und wir bekommen einen plastischen Eindruck der handelnden Personen. Und dann? Dann hindern sie uns daran,
     jede andere Version je richtig zur Kenntnis zu nehmen! Denn immer ist danach das Bild im Wege, das der Romanautor gezeichnet
     hat. Ein für alle Mal hat er unsere Fantasie geprägt. Die wissenschaftliche Literatur, das Studium der Quellen, nichts kommt
     mehr dagegen an. Oder kann sich jemand, der einmal »Ivanhoe« von Walter Scott gelesen hat, den englischen König Richard Löwenherz
     anders vorstellen als tapfer, tollkühn, gutmütig und von tiefstem Verständnis für die Nöte der Armen beseelt, oder den ostgotischen
     Herrscher Totila anders als einen edlen, strahlend schönen Jüngling, der zu gut ist für die Schlechtigkeit der Welt, wie Felix
     Dahn ihn in seinem »Kampf um Rom« präsentiert?
    Genauso verhält es sich mit Lion Feuchtwangers Roman »Die hässliche Herzogin Margarete Maultasch«. Das Buch wurde seit dem
     ersten Erscheinen 1923 immer wieder aufgelegt, mehr als 600   000 Exemplare wurden insgesamt gedruckt. Feuchtwanger schreibt glänzend, sein Buch liest sich in einem Zug weg, und am Ende
     hat man das klarste Bild von der spätmittelalterlichen Herrscherin und der Welt, in der sie lebte. Feuchtwanger entwirft einen
     hochkomplexen Frauencharakter: Margarete Maultasch ist hässlich, sie sieht aus wie ein Affe, und weil sie hässlich ist, steigt
     sie aus ihrer Zeit aus, entwickelt ihren Intellekt, bildet sich weiter, solidarisiert sich mit den Benachteiligten, überwindet
     Klassenschranken, öffnet ihr Land allen fortschrittlich Denkenden. Doch ihre guten Ansätze werden zuschanden an einer Umwelt,
     in der dumpfe und archaische Triebe herrschen, Raffgier, Brutalität und Dämonenfurcht. Feuchtwanger stützt sich dabei auf
     volkstümliche Überlieferungen. Margarete Maultasch, die Gräfin von Tirol und Herzogin von Kärnten, ist als Kinderschreck in
     die Sagenwelt der Alpenvölker eingegangen. Sie hat »ein so großes Maul gehabt, davon sie benannt wird«. So steht es in den
     »Deutschen Sagen« der Brüder Grimm.
    Heutige Historiker haben ermittelt, dass diese Bezeichnung fehlinterpretiert wurde. Das Wort Maultasch bezog sich nämlich
     ursprünglich nicht auf das Gesicht der Fürstin. Die Beschimpfung war perfider, mit »Tasche« oder »Maultasche« war das weibliche
     Genital gemeint, wie es etwa in zotigen Fastnachtsliedern hieß: »Mich het ain schöne frau geladen,/ das ich mit ir solt essen
     und |87| paden / und mit ir spiln in der taschen«, oder: »Drunter waiss ich wol ain maultaschen, / der auch gut wer in den schnabel
     zu waschen«. Der diskriminierende Beiname wurde von politischen Publizisten ihrer Zeit in Umlauf gebracht, er sollte die Frau
     treffen, die ihren Ehemann hinausgeworfen hatte und es wagte, trotz päpstlichem Bann mit einem anderen zusammenzuleben. Um
     ihr Aussehen ging es nicht, daran war wahrscheinlich gar nichts auszusetzen. Ein Zeitgenosse, der Chronist Johann von Winterthur,
     rühmt sogar ganz ausdrücklich Margaretes Schönheit. Die Vorwürfe und Verleumdungen zielten vielmehr auf Männerverschleiß und
     Sexualpraktiken.
    Worüber die Menschen des 14. Jahrhunderts ganz ungeniert diskutiert hatten, fanden spätere Chronisten zu anstößig, sie brachten
     die Version auf, dass der Name vom missgestalteten Gesicht stammte, dass die Herrscherin Tirols ein Ausbund an Hässlichkeit
     gewesen sei. Porträts aus ihrer Zeit, die das Gegenteil hätten beweisen können, waren nicht erhalten – wenn es überhaupt welche
     gegeben hatte. Also malten die Künstler späterer Jahrhunderte die Fürstin dann auch so, wie es ihr Beiname nahe legte, als
     breitmäulige, triefäugige Vettel – bis hin zu den Karikaturen, die Michael Matthias Prechtl für die 1976er Ausgabe von Feuchtwangers
     Roman lieferte. Der Künstler nimmt die im Romantext ständig wiederkehrenden Epitheta wörtlich, die »plumpe Taille«, der »graue,
     fleckige Teint«, die »schlaffen Hängebacken« tauchen auf seinen Zeichnungen genauso auf wie das »tote Haar« und der »äffisch
     vorgewulstete Mund«.
    Originalquellen über Margarete Maultasch oder gar solche von ihrer eigenen Hand stehen kaum zur Verfügung. Die Stellung, die
     sie im politischen Getriebe ihrer Zeit einnahm, ist nur mühselig zu rekonstruieren und basiert meist auf Vermutungen. Versuche
     zur Modernisierung, zu fortschrittlichem

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