Frauen lügen
entsprechende Größe. Blankgeputzt und lackglänzend bringen sie ihre vermögenden Besitzer aus Hamburgs feinster Wohnlage in die Innenstadt. Seit einer halben Stunde wartet Fred darauf, dass auch Susanne Michelsens Ehemann seine Villa verlässt.
Das Haus liegt auf der richtigen Seite der Chaussee, besitzt also ein Grundstück, das direkt bis hinunter zur Elbe führt. Oberhalb der dichten Hecke, die entlang des Zauns gepflanzt ist, kann Fred nur ein rotes Ziegeldach mit einem kleinen Turm erkennen. Ansonsten ist das stattliche Anwesen nahezu perfekt vor neugierigen Blicken geschützt.
Ungeduldig trommelt Fred auf sein Lenkrad, denn das Warten ist aufreibend. Man kann hier nirgends parken, und wenn ein Bus kommt, muss Fred ausscheren, bis zur nächsten Kreuzung fahren, dort wenden und anschließend wieder in seine Position zurückkehren. Zum Glück ist das nicht besonders häufig der Fall. Und jetzt regt sich auch endlich etwas am Tor.
Eine gelbe Lampe, die auf der Abschlussplatte eines der seitlichen Pfeiler montiert ist, beginnt zu blinken, dann rollt ganz langsam das hohe Gitter zur Seite und lässt einen schweren BMW passieren, an dessen Steuer Jonas Michelsen sitzt. Fred hat im Internet etliche Fotos des Hoteliers studiert, so dass er ihn problemlos hinter den Autoscheiben erkennen kann. Michelsen strebt nach rechts, Richtung Innenstadt, und sieht zum Glück nur flüchtig nach links, wo Fred wartet. Die Straße ist frei, Michelsen startet durch. Fred fährt etwas langsamer in seinem mittelgroßen dunkelblauen Mercedes hinterher. Er hat den Mietwagen am Bahnhof sorgfältig ausgesucht, um nur nicht aufzufallen. Als ein drängelnder Porschefahrer ihn überholt, lässt Fred es gern geschehen. Für den Anfang ist der Porsche die perfekte Tarnung, und später im Innenstadtverkehr kann Fred immer noch aufschließen.
Doch so weit kommt es nicht, denn das Büro der Michelsen-Immobiliengesellschaft befindet sich nur wenige Kilometer stadteinwärts in einer avantgardistischen Neubauvilla ebenfalls an der Elbseite der Chaussee. Michelsen kurvt auf den firmeneigenen Parkplatz neben der Villa, stellt seinen Wagen ab und steigt aus. Fred bremst ebenfalls und beobachtet den Hotelier aus dem Autofenster. Susannes Ehemann ist größer und auch massiger, als Fred ihn sich vorgestellt hat, eine durchaus imposante und virile Erscheinung. Das volle graumelierte Haar trägt er etwas zu lang, was ihm den Anschein eines Bohemiens gibt, den seine ausgewählt elegante Kleidung allerdings Lügen straft. Michelsen steckt trotz der Sommerwärme in einem Anzug mit Weste, er bewegt sich geschmeidig und verschwindet zielstrebig in dem Gebäude. Fred fährt langsam weiter, biegt aber an der nächsten Kreuzung ab und sucht sich eine Lücke in einer Querstraße. Anschließend nähert er sich zu Fuß vorsichtig dem Bürobau.
Obwohl das Haus am Hang liegt, kann man auf einer brückenähnlichen Verbindung herumgehen und die hintere Terrasse erreichen, die einen phantastischen Ausblick über die Elbe und auf das gegenüberliegende Ufer mit seinen Werftanlagen bietet. Fred hält sich vorsichtig am Rand auf, um nicht durch die bodentiefen Fenster gesehen zu werden. Als er sich halbwegs sicher fühlt, späht er selbst aus einiger Entfernung ins Innere des Gebäudes.
Die Räume der Firma Michelsen sind groß und mit eleganten Schreibtischen und Büromöbeln ausgestattet, alle Türen stehen offen. Die Immobiliengesellschaft scheint das gesamte Erdgeschoss zu nutzen. Jonas Michelsen schlendert von Schreibtisch zu Schreibtisch und redet zwanglos mit seinen Angestellten. Manchmal setzt er sich auch zu ihnen und studiert einige Unterlagen. Soweit Fred Hübner es beurteilen kann, herrscht eine entspannte Atmosphäre. Es wird oft gelacht, und alle Gesten wirken spontan und herzlich. Susannes Ehemann ist vermutlich ein guter Chef, engagiert und akzeptiert.
Freds Laune verschlechtert sich rapide, missmutig kehrt er zur Vorderseite des Gebäudes zurück. Während er auf der Straße auf und ab geht, versucht er, sich Sanne an der Seite dieses Mannes vorzustellen. Schön, kühl, blond. Die perfekte Ergänzung. Warum sollte dieser Mann sie betrügen? Warum sie unglücklich machen? Und bestätigt nicht auch jeder Satz des belauschten Telefonats den Eindruck einer funktionierenden Beziehung?
Und doch muss da etwas sein. Sanne wirkt einfach nicht wie eine glückliche Frau, die nur ein wenig Abwechslung bei einem Jugendfreund sucht.
Fred hat viel Zeit, über
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