Frauen lügen
dieses Problem nachzudenken. Und erst als er jeden Pflasterstein des Bürgersteigs auswendig zu kennen glaubt, öffnet sich endlich die Vordertür des Bürogebäudes. Heraus stürzt ein sichtlich aufgebrachter Jonas Michelsen. Er hält sein Handy am Ohr und schnauzt lautstark hinein. Trotzdem kann Fred nur Fetzen verstehen.
Schnell sichern, auf keinen Fall betreten
und
Was ist das für eine unglaubliche Stümperei?
hört er noch, bevor er zum Spurt zu seinem Wagen ansetzt. Fred rechnet schon damit, dass er Michelsen verlieren wird, doch der Zufall kommt ihm zu Hilfe. Eine Reihe von Linksabbiegern blockiert die Fahrbahn, die stadteinwärts führt, so dass Michelsen immer noch an der Kreuzung wartet, als Fred endlich mit seinem Mietwagen aus der Nebenstraße kommt. Glück gehabt.
Schwieriger gestaltet sich die Verfolgung, nachdem beide Autos die Innenstadt und schließlich die Hafencity erreicht haben. Baustellen, Umleitungen und Sperrungen folgen in entnervendem Turnus aufeinander, und es ist ein kleines Meisterstück von Fred, dass er es schafft, Michelsens Limousine nicht aus den Augen zu verlieren. Es ist ein Uhr mittags, als der Hotelier schließlich unterhalb des umstrittenen Marco-Polo-Towers im absoluten Halteverbot parkt. Fred bleibt nichts anderes übrig, als es ihm nachzutun. Erschöpft und schweißgebadet sitzt er am Steuer und beobachtet, wie Jonas Michelsen in Hamburgs teuerstem Neubauprojekt verschwindet. Immer wieder erscheinen Artikel darüber in der Tagespresse. In dem Gebäude mit den futuristisch geschwungenen Balkonen ist selbst in den unteren Stockwerken keine Wohnung im Rohbau unter einem Quadratmeterpreis von 3500 Euro zu haben, eine Summe, die Fred Hübner geradezu für obszön hält. Dagegen sind sogar viele Sylter Immobilienofferten echte Schnäppchen.
Es muss Jonas Michelsens Firma tatsächlich gutgehen, wenn der Chef sich hier ein Apartment leisten kann. Vermutlich befindet sich die Wohnung gerade im Ausbau, und irgendetwas ist schiefgegangen, womit sich die Schimpftirade von vorhin erklären würde. Fred rechnet damit, dass sich Michelsen nicht lange hier aufhalten wird, und bleibt in seinem Wagen sitzen, auch wenn er sich damit dem Risiko aussetzt aufzufallen.
Als Michelsen nach zwanzig Minuten wieder auf der Straße erscheint, hat er zum Glück keinen Blick für seine Umwelt, sondern nur für seine Uhr. Hastig springt er in den BMW und lässt ihn an. Wahrscheinlich hat der Hotelier wegen der unerwarteten Unterbrechung einen Termin versäumt, denn jetzt fegt er wie ein Wilder durch die Straßen. Fred muss alle Vorsicht fahren lassen, um überhaupt auf Michelsens Spur zu bleiben. Der Hotelier fährt in weitem Bogen um die Innenstadt herum, dann an der Messe vorbei und anschließend bis weit hinauf in den Norden Hamburgs. Plötzlich glaubt Fred auch zu wissen, warum Michelsen es so verdammt eilig hat. Er wird zum Flughafen wollen und fürchtet sicher, seinen Flieger zu verpassen. In wenigen Minuten wird Jonas Michelsen in Fuhlsbüttel parken und in der Abfertigungshalle verschwinden. Dann wird der ganze Aufwand dieser Verfolgung umsonst gewesen sein, denn natürlich kann Fred ihm nicht hinterherfliegen.
Leise fluchend setzt Fred seinen Blinker, als Michelsen ihn auch setzt. Erst nach dem Abbiegen wird ihm klar, dass Michelsens Wagen anstatt in die Flughafenzufahrt einzubiegen ein einfaches Wohnviertel ansteuert. Aber was zum Kuckuck will Jonas Michelsen in dieser heruntergekommenen Gegend? Fred spürt, wie ihn ein Adrenalinstoß durchfährt und sein Journalisteninstinkt erwacht. Er hat sich also doch nicht getäuscht! Hier wartet sicher kein normaler Geschäftstermin auf den Unternehmer.
Als Jonas Michelsen vor einem altbacken wirkenden Café anhält und sehr langsam aus dem Wagen steigt, scheint es, als sei aller Schwung aus den Bewegungen des Hoteliers verschwunden. Fast zaghaft öffnet er die Tür des Cafés.
Fred parkt seinen Wagen sorgfältig etwa hundert Meter die Straße hinauf neben einem Kiosk. Dort kauft er eine Zeitung, schlendert die Straße hinunter und betritt mit gesenktem Kopf ebenfalls das Café.
Michelsen sitzt nicht allein an einem Tisch nahe der Tür. Sein Date hat offensichtlich schon länger gewartet, und Fred kann sogar noch Michelsens langatmige Entschuldigungen hören, während er selbst sich an einem weit entfernten Tisch niederlässt. Das Café ist bis auf ihn und die beiden Personen an Michelsens Tisch leer, und die Akustik scheint günstig zu sein.
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