Frauen rächen besser: Roman (German Edition)
abgeneigt, aber nur Missgünstige würden mich als Trinkerin bezeichnen.
Punkt drei: Schaffe ich leider nicht immer. Wenn ich gut drauf bin, schnorre ich bei Freunden/Bekannten/zufällig vorbeikommenden Unbekannten.
Punkt vier: Das klappte donnerstags/freitags/samstags nicht so gut, aber sonntags holte ich alles wieder auf.
Punkt fünf: Bin grundsätzlich eher ruhig, aber es gibt auch Personen und Situationen, die mich zur Raserei bringen: der Marketingheini des Call-Centers, ein Hupkonzert hinter mir, nur weil ich finde, dass der Traktor vor mir ohnehin schnell genug fährt; eine Laufmasche in meiner neuen Strumpfhose, die ich erst nach der Party bemerke; Freundinnen auf einer Party, die auch mit Laufmasche nicht peinlich aussehen.
Punkt sechs: Durfte sich mit einundzwanzig noch nicht auswirken.
Punkt sieben: Was zum Teufel sollte das denn sein?
Nachdem ich punktgenau alles aufgelistet und bewertet hatte, kam ich zu dem Schluss, dass ich eigentlich gar keine Falten haben dürfte.
Aber, verdammt noch mal, die waren dennoch da!
Was also war der Grund? Was hatte ich übersehen? War mein Papi womöglich gar nicht mein richtiger Papi? Hatte meine Mutter etwa Unzucht getrieben mit jemandem, der zu viel Haut für seine Größe hatte?
Und plötzlich fiel mir der Briefträger ein, der uns immer die Post gebracht hatte, als ich noch klein war. Der war ziemlich faltig gewesen, viel faltiger als mein Papi, soweit ich mich erinnern konnte. Aber wie konnte es dann sein, dass er sich nie um mich gekümmert hatte, wo ich doch seine Tochter war? Und wo war der dann überhaupt abgeblieben? Ach ja, der war in Pension gegangen, aus Altersgründen. Daher also die Falten. Uff! Gott sei Dank, denn der Kerl war wirklich ein hässlicher Zwerg gewesen.
Ich überlegte also weiter: Was gab es in meinem Leben, was es im Leben anderer Einundzwanzigjähriger nicht gab?
Ich hatte einen nervigen Bruder erdulden müssen, aber wer muss das nicht? Ich ging gerne in Discos und auf Partys, aber wer in diesem Alter tut das nicht? Und ich hatte einen Job, der einen nicht wirklich an die Grenzen der persönlichen Leistungsfähigkeit bringt, also konnte das auch nicht der Grund sein, oder?
Was tat ich denn schon Schlimmes, ich hockte in meiner Kabine und lächelte und sagte mein Sprüchlein auf: »Guten Morgen/Tag/Abend, Sie sprechen mit dem Bestellservice der Firma soundso, mein Name ist Heike Breitenfellner, was kann ich für Sie tun?«
Und das hundertmal am Tag. Hm.
Und weil ich jetzt schon vor dem Spiegel stand – ich war noch immer im Badezimmer, und das Hämmern an der Tür hörte ich inzwischen gar nicht mehr –, machte ich die Probe aufs Exempel.
Ich sagte so laut und so deutlich, als ob der pickelgesichtige Marketingfuzzi leibhaftig hinter mir gestanden hätte: »Guten Morgen, Sie sprechen mit dem Bestellservice der Firma soundso, mein Name ist Heike Breitenfellner, was kann ich für Sie tun?«, und dabei lächelte ich auf Teufel komm raus.
Und plötzlich waren mir zwei Dinge schlagartig klar: Erstens hielten mich Mona und Saskia – meine WG-Genossinnen – jetzt garantiert für vollkommen übergeschnappt, wie ich an ihrem plötzlichen Schweigen hören konnte. Und zweitens hatte ich gerade den allergrößten Skandal im Deutschland der Nachkriegszeit aufgedeckt.
Ich meine, bei uns gibt es die unsinnigsten Bestimmungen für Arbeitnehmerschutz, da darf zum Beispiel ein Elektriker keinen E-Herd anschließen, ohne vorher den Hauptstromkreis zu unterbrechen, der Bergwerksarbeiter nicht ohne Schutzhelm in den Stollen und der Zimmermann nicht ungesichert auf den Dachstuhl des zehnstöckigen Hauses – an so was haben die Regierenden gedacht, aber die wirklich wichtigen Dinge, die haben sie schlicht und einfach übersehen.
Denn was ich da in meinem Spiegel gesehen hatte, das war entsetzlich, schockierend, menschenunwürdig. Eine faltige Fratze mit kleinen Schlitzaugen und gefletschten Zähnen wie bei einem scharf dressierten Pitbull, den man gerade geohrfeigt hat. Und am schlimmsten hatte es ausgesehen, als ich meinen Namen nannte, eine Aneinanderreihung heller Vokale in Verbindung mit einem breiten Lächeln, das hat eine Wirkung, da könnte man einem genauso gut einen Eimer Salzsäure ins Gesicht schütten.
Dagegen müsste man etwas unternehmen, da wären unsere Politiker gefordert. Ein einfaches Gesetz würde genügen: »Personen, in deren Namen mehr als – sagen wir mal – drei helle Vokale vorkommen, dürfen nicht für
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