Frauenbataillon
melden würden, wenn die Deutschen kommen sollten. Aber warum sollten sie kommen? Die Deutschen waren froh, daß Ruhe herrschte … sie waren wie gehetzte Tiere, die ihre Wunden leckten. So wachte niemand am Ufer und niemand sah, wie Peter Hesslich über den Fluß kam. Als er landete, hatten sich die Bajda und Ugarow gerade hingelegt, alkoholselig und unfähig, auch nur ein paar Schritte zu gehen. Gegenseitig mußten sie sich festhalten und stützen.
Allein die Heldin des Tages, Stella Antonowna, hatte zwar allen zugeprostet, aber selbst nur wenig getrunken. Sie mochte keinen Schnaps. Ihre Lieblingsgetränke, den würzigen, süßlichen Birkenwein oder den milden aus Wildweizen gebrannten Wodka, hatte es nicht gegeben. Sie ging nun allein zu ihrem Bunker, als ihr Blick auf die bizarren Konturen der Ruinen fiel, die wie dunkle Schatten in den Nachthimmel ragten, und entschloß sich, die Mädchen, die Posten stehen mußten, zu besuchen.
Und da beging auch Stella Antonowna einen Fehler, der ihr nie hätte unterlaufen dürfen: Sie versäumte es, zuvor ihr Gewehr aus dem Bunker zu holen. Unbewaffnet ging sie hinunter zum Dorf.
Unterdessen hatte Hesslich die ersten Ruinen erreicht und legte sich in einem der Gärten hinter einen Stapel alter Balken. Die ›blinde Jagd‹ begann – irgendwo, so viel war sicher, lagen Wachposten auf Lauer, aber es gab keinerlei Anhaltspunkte dafür, wo genau sie sich befanden. Da half nur Geduld, völlige Ruhe und beharrliches Lauschen nach den kleinsten und leisesten Geräuschen. Ein Klappern, ein verhaltenes Hüsteln, scharrende Füße oder ein unterdrücktes Niesen. Am besten war es, die Ablösung zu beobachten. Dann wußte man genau, wo der Feind lag – vorausgesetzt, man hatte das Glück, in der Nähe auf der Lauer zu liegen und die Ablösung tatsächlich mitzubekommen.
Hesslich entdeckte zunächst Dunja Alexandrowna, ein Mädchen aus Ulan-Bator mit breiten, stets lächelnden Gesichtszügen und herrlichen, schrägen Mandelaugen. Dunja machte es ihm leicht. Angesteckt von der allgemeinen Überzeugung, die Deutschen seien froh, wenn man sie in Ruhe lasse, verließ Dunja das sie schützende, ausgebrannte Bauernhaus und ging unbefangen im diffusen Licht des Sternenhimmels spazieren. Die Nacht war warm, fast windstill und sehr ruhig – nur vom Fluß klang schwach das Gurgeln der Wellen herüber.
Dunja Alexandrowna hatte ihr Gewehr auf den Rücken geworfen und ging zu einer Tonne, um sich das Gesicht zu kühlen. Mit beiden Händen schöpfte sie das Wasser und ließ es über ihren Kopf rinnen, es erfrischte und vertrieb die Müdigkeit.
Hesslich schob sein Gewehr leise über den Holzstapel und visierte Dunja an. Er sah ihr Gesicht im Profil, und sein Herz begann, wie damals bei der Begegnung mit Schanna, aufgeregt zu klopfen. Er holte tief Atem, weil ihm der Gedanke, in ein paar Sekunden ein Mädchen zu erschießen, Übelkeit zu bereiten drohte. Aber dann dachte er daran, daß gerade sie eine von denen gewesen sein konnte, die die zehn Kameraden im Schlaf erschossen hatten, auch sie junge Menschen, die sich nicht wehren konnten und die der Tod aus der Dunkelheit heraus überraschte.
Langsam krümmte er den Finger bis zum Druckpunkt. Er wartete nur noch auf eins: nicht von der Seite wollte er schießen, nicht in ihre Schläfe. Die Kugel sollte sie vielmehr zwischen die Augen treffen, einen Daumen breit über der Nasenwurzel. Der Schuß sollte allen anderen Scharfschützinnen als Warnung dienen: Hier ist jemand, der es genausogut kann wie ihr! Jetzt werden sich die Zeiten ändern …
Dunja Alexandrowna hatte sich erfrischt und wandte sich von der Tonne ab. Ihr breites Asiatengesicht erschien voll im Fadenkreuz. Hesslich biß die Zähne zusammen und hielt den Atem an. Sein Zeigefinger krümmte sich.
Der Schuß hallte trocken durch die Nachtstille. Ohne einen Laut fiel Dunja nach hinten in die halbhoch stehenden Sonnenblumen. Gleichzeitig hetzte Hesslich auf seinen dicken Gummisohlen davon, sprang in ein anderes ausgebranntes Haus und warf sich dort hinter einer zerborstenen Wand auf den Boden.
Stella Antonowna stand wie erstarrt, als ganz in ihrer Nähe der einsame Schuß aufbellte. Aber ihre Erstarrung dauerte nur eine Sekunde, dann lag auch sie auf der Erde und wartete. Sie hörte nichts mehr, aber ihr Gespür für drohende Gefahr sagte ihr, daß es kein verirrter Schuß gewesen war, kein unglücklicher Selbstauslöser. So etwas kam bei ihnen nicht vor.
Der Mann mit der
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