Frauenbataillon
Wundbrände gesehen … sind alle hopsgegangen! Was steht denn in deinem klugen Buch?«
»Da hat einer 'nen Schulterschuß, und der eitert nun und ist rot entzündet, und Fieber hat er auch …«
Der Sanitätsunteroffizier nickte mehrmals. »Lies weiter, Fritz«, sagte er gemütlich. »Auf welcher Seite biste?«
»Ungefähr 150 …« Plötzerenke sah den Sanitäter mit umflortem Blick an.
»Spätestens auf Seite 200 ist er tot, wenn der Schreiber ehrlich ist und nicht spinnt. Lies nur weiter …«
Diese Auskunft versetzte Plötzerenke in eine Art Panik. Die Tage und Nächte mit Schanna gehörten für ihn zum Schönsten, was er je erlebt hatte, obgleich Schanna ihre Passivität nie aufgab und nur duldend alles über sich ergehen ließ. Er wußte jetzt auch, wie sein ›Mädchen‹, seine ›Kleene‹ hieß … Er hatte auf sich gezeigt und gesagt: »Ich … Fritz. Ponimei? Ich – Fritz …« Und sie hatte genickt und geantwortet: »Schanna Iwanowna …«
»Schanna? Ist das ein Name! Schanna … wat anderes paßt zu dir auch gar nicht, Kleene …«
Plötzerenke war also glücklich. Die große Frage, was aus Schanna werden würde, wenn der Vormarsch oder der Rückzug wieder begann, ließ sich verdrängen. Aber es war unmöglich, ihre Wunde zu ignorieren. Sie krepiert mir, wenn ich nichts tue, dachte er. Sie bekommt den Wundbrand und dann wird sie auf furchtbare Weise zugrunde gehen! Was kann ich nur tun? Ich kann sie doch nicht auf den Rücken nehmen und in die Stellung tragen. Mein Gott, so schick mir doch eine Idee! Hilf mir! Du weißt doch alles … Du siehst doch alles … Du kannst dich doch erinnern: Drei Jahre lang war ich Meßdiener und hab das Weihrauchfäßchen geschwungen … Ich war immer ein guter Christ … Gott, nun hilf du mir …
Er zermarterte sein Gehirn, um einen Ausweg zu finden, aber was immer er auch in Erwägung zog, es lief alles auf das gleiche hinaus: Er würde Schanna ausliefern müssen! Wie man es auch sah, was man auch tat oder nicht tat! Schannas Ende war so gut wie besiegelt. Entweder sie starb unter entsetzlichen Qualen an Wundbrand, oder man würde das ›Flintenweib‹ spätestens beim Regiment an die Wand stellen. Eine Überlebenschance schien nicht mehr zu bestehen. Allein der Gedanke daran war zu schauerlich, um zu Ende gedacht zu werden.
Dabei hatte sich nach seiner Ansicht alles so gut entwickelt. Schanna spuckte ihn nicht mehr an, wenn er ihr die Schlinge um den Hals legte und sie an der langen Leine ›Gassi führte‹, diese entwürdigenden Minuten, in denen jedes Ehrgefühl, jede Selbstachtung im Feuer von Haß und Verzweiflung verbrannten. Sie versuchte auch nicht wieder, ihn in die Kehle zu beißen, wenn er auf ihr lag und seine Zärtlichkeit sie marterte.
Plötzerenke setzte alles daran, Schanna durch Kleinigkeiten zu beweisen, daß er sie liebte und sie ihm mehr bedeutete als nur ein körperliches Vergnügen. Da die Sprache versagte und beide höchstens dem Tonfall entnehmen konnten, was der jeweils andere wohl meinte, griff Plötzerenke zu einem allgemein verständlichen Ausdrucksmittel – der Musik.
Er hatte damit so seine Erfahrungen. Dreimal hatte er bei sogenannten Waldpicknicks auf einer sonnigen Lichtung in einer Tannenschonung kraft des Klanges seiner Mundharmonika einen letzten Rest von Scheu bei begehrten, aber etwas spröden Begleiterinnen weggeblasen.
Daran erinnerte sich Plötzerenke nun auch bei Schanna Iwanowna. Er wußte, daß der Obergefreite Rumpe eine alte, zerbeulte Mundharmonika besaß, die den ganzen Vormarsch und den Rückzug aus der Don-Steppe mitgemacht hatte. Es war nur ein billiges Ding, das Plötzerenke früher nie geblasen hätte, es wäre unter seiner Würde gewesen. Rumpe spielte auch nur selten auf dem Instrument. Er trug es vor allem der Pietät wegen im Brotbeutel mit sich herum – seine Mutter hatte sie ihm geschickt, zehn Tage, bevor sie an Tuberkulose gestorben war.
Plötzerenke lieh sich die Mundharmonika nun aus und opferte als Leihgebühr seine Marketenderzigaretten. Rumpe kassierte die Zigaretten und fragte nicht lange, warum Plötzerenke auf einmal so wild auf die Mundharmonika war. Am Abend hockte Plötzerenke dann vor der fassungslosen Schanna und blies ihr Berliner Melodien vor. ›Das ist die Berliner Luft … Luft … Luft …‹ und: ›Es war in Schöneberg im Monat Mai …‹ Zum erstenmal lächelte Schanna, und der Haß wich aus ihren großen schwarzen Augen.
Geradezu künstlerisch wurde es, als
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