Frauenbataillon
und war nicht mehr zu bremsen. Der Bataillonskommandeur hängte seufzend ein, und als das Telefon kurz darauf erneut schrillte, winkte er ab und sagte mit flehendem Blick zu seinem Adjutanten:
»Wenn es wieder Soja ist … lieber Freund, erschlagen Sie sie mit den gemeinsten Schimpfworten. Das ist das einzige, was sie versteht! Ich kapituliere vor diesem rasenden Weib! Wie Ugarow das bloß aushält! Allein dafür müßte er einen Orden bekommen …«
Stella Antonowna nahm den Befehl gelassen hin. Sie hatte sich in den letzten beiden Tagen verändert, war stiller geworden, dachte viel nach, gab wenig Antworten. Oft saß sie allein in den Dorfruinen, harkte die Beete oder lag am Donezufer und beobachtete die deutsche Seite.
Man verändert sich, wenn der Satan einem zuwinkt, das ist verständlich. Man wird nachdenklicher und stellt sich innerlich darauf ein, daß man auch der Verlierer sein kann. Und in diesem Fall war Verlieren gleichbedeutend mit dem Tod – einem ehrenvollen Tod nach erbittertem Zweikampf, aber letztlich war es ja doch ohne Bedeutung, wie man starb.
Stella Antonowna hatte noch nie so viel und so intensiv an den Tod gedacht wie in diesen Tagen. Angst vor dem Sterben hatte sie nie gehabt. Keimten solche Gedanken in ihr auf, pflegte sie sie mit Optimismus zu verdrängen: Ich bin schneller und sicherer als meine Gegner. Ich siege immer! Mich erwischen sie nie!
Das war nun anders geworden. Der Mann mit der Strickmütze hatte ihr zugewunken. Er hatte ihr zugelächelt, und dieses Lachen konnte sie nicht vergessen. Was sie auch tat, wo sie auch war, mußte sie daran denken. Es war wie ein Fieber, das von ihr Besitz ergriffen hatte, ihr Leben mit einem unentfliehbaren Zwang dominierte und sie in eine innere Unruhe versetzte, die ihr den Atem zu nehmen drohte. Ob sie im Gras lag und in den weiten, blauen Sommerhimmel starrte, ob sie im Garten umgrub oder mit den anderen Mädchen beim Essen saß, ob sie in fröhlicher Runde sang und nach dem Klang der Bajan tanzte, oder in der Nacht wach lag und auf die Geräusche in der Steppe lauschte – immer war dieser Mensch da drüben bei ihr, sie sah ihn winken, sein Lachen strahlte sie an. Sie konnte sich nicht von dem Bild seiner ausgebreiteten Arme befreien, die zu ihr hinüberriefen: Komm! Komm über den Fluß! Hier stehe ich für dich bereit …
Es war ein Teil ihres Schicksals geworden, das spürte sie. Ihr Leben führte nur noch zu ihm, an ihm vorbei, durch ihn hindurch oder endete durch ihn oder mit ihm. Diese Erkenntnis ließ sie still und versonnen werden.
Am Abend zog Stella ihre Uniform an, hängte ihr Moisin-Nagant-Gewehr über den Rücken und wartete auf den Verpflegungswagen. Ugarow, die Bajda und eine Menge Kameradinnen saßen um sie herum, um den neuen Mann zu begutachten, der auf Befehl des Generals in diesen Raubkatzenkäfig versetzt worden war.
Soja Valentinowna hatte sich etwas beruhigt. Anscheinend sollte Stella Antonowna doch nicht ausgetauscht werden. Ugarow war es gelungen, den Bataillons-Adjutanten zu sprechen.
»Wieso mit Gepäck?« hatte der Oberleutnant erstaunt zurückgefragt. »Wer hat denn befohlen, daß Stella Antonowna mit voller Ausrüstung kommen soll? Was ist los mit euch da draußen? Trocknet die Sonne euer Hirnwasser aus? Es hat geheißen: Stella soll sich bei uns melden. Weiter nichts! Wenn sie mit vollem Gepäck kommen sollte, hätte man das gesagt. Victor Iwanowitsch, lassen Sie sich von Soja Valentinowna nicht paralysieren …«
Diese Auskunft besänftigte die Bajda etwas, auch wenn sie wild schrie, der Adjutant sei ein stinkender Bock. Blieb also nur noch die Ankunft des neuen Mannes, des besten männlichen Scharfschützen der 7. Garde-Armee. Ugarow hatte sich fest vorgenommen, ihn sofort kräftig anzuschnauzen, um ihm von Anfang an klarzumachen, was ihn hier erwartete. Vor allem wollte er ihn mit der Frage blamieren: »Bevor Sie hier überhaupt ein Bett beziehen, Genosse, erklären Sie mir erst, warum Lenin einen Spitzbart trug!«
Eine Antwort darauf war unmöglich. Die Frage mußte jeden verwirren. Er würde sich ungebildet, ja blöd vorkommen, und nichts schädigt das Ansehen eines Mannes mehr, als wenn man über ihn sagt: Seht mal, wie dumm er ist! Ein richtiger Schwachkopf! – Gewiß würde der Neue diesen Schock nicht verkraften können.
Bei Einbruch der Dunkelheit kam der Verpflegungswagen, ein steppenbraun gestrichener, klappriger Laster, dessen Motor brüllte, keuchte und spuckte. Vermutlich handelte es
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