Frauenbataillon
werden: ein Held.
Galina Ruslanowna brauchte eine Stunde, um zu begreifen, daß es keinen Helge Ursbach mehr in Njekjudowo gab.
Zunächst dachte sie, er sei im Dorf spazierengegangen, um sich den Aufmarsch der sowjetischen Truppen anzusehen, aber dann hielt sie diesen Gedanken für dumm, denn jeder Rotarmist, vor allem jeder Offizier, hätte Ursbach sofort in Haft genommen, denn er trug ja seine deutsche Uniform. Man hätte sich gefragt: Was ist denn das? Wieso spaziert ein deutscher Soldat weit hinter den sowjetischen Linien herum? Und trägt noch sein Eisernes Kreuz! Genossen, da stimmt doch etwas nicht.
Auch Stella Antonowna wußte keine Auskunft. Sie sagte nur: »Paß besser auf ihn auf, Galina Ruslanowna! Was nun, wenn er weg ist?«
»Wohin denn?« stammelte die Opalinskaja. Plötzlich krampfte sich ihre Kehle zusammen. Sie fror. »Unmöglich ist das …«
»Was ist unmöglich?«
»Daß er einfach weggelaufen ist! Warum denn?«
»Vielleicht hat er sich vor dir gefürchtet?«
»Wieso denn das?«
»Es gibt Männer, die laufen vor allzuviel Geilheit davon.«
Die Opalinskaja warf einen scharfen Blick auf Stella, sagte aber keinen Ton, drehte sich um und jagte davon. Zu Sibirzew lief sie nicht, das war ihr zu gefährlich. Sie rannte von Unterkunft zu Unterkunft, durchquerte zweimal das Dorf und traf an den letzten, zerstörten Häusern auf Lida Iljanowna.
Das fand sie merkwürdig. Die Selenko saß allein an einer Hauswand, so unbeweglich, als sei sie eine abgesetzte große Puppe, und blickte hinüber zum Flußufer. Galina blieb in einiger Entfernung stehen, drückte sich an eine Stallwand und beobachtete sie eine Weile. Plötzlich stand Lida auf und ging langsam zum Fluß hinunter. Der Weg war von dem großen Regen aufgeweicht, bis zu den Knöcheln versank sie im zähen Schlamm, aber sie zog die Füße aus dem lehmigen Brei und setzte, wie automatisch, Schritt vor Schritt.
Nach kurzem Zögern folgte ihr die Opalinskaja. Auf halber Strecke zwischen den letzten Häusern von Njekjudowo und dem Fluß, in einer leichten Senke, wo noch das Regenwasser unversickerbar auf dem Schlamm stand und Lidas Stiefel bei jedem Schritt das Wasser bis zum Gürtel spritzen ließen, rief Galina sie an.
»Wo gehst du hin, Lidotschka?« rief sie. »Bleib stehen! Etwas zu besprechen hab' ich mit dir!«
Lida Iljanowna blieb stehen, als habe man den Motor abgeschaltet. Es war fast verwunderlich, daß sie das Bein noch in die tiefe Schlammpfütze senkte und nicht auf halber Höhe in der Bewegung erstarrte. Ihr Gesicht war blaß und steinern, die Augen glänzend, wie aus Glas. Nur die Fingerspitzen an den herunterhängenden Händen zuckten.
Galina Ruslanowna kam an ihre Seite und mußte, wie sie, in der Schlammpfütze stehen; der Boden war ein einziger Brei.
»Hast du es schon gehört?« fragte die Opalinskaja atemlos.
»Was soll ich gehört haben?« Lidas Stimme war ruhig, aber ohne jede Modulation. Sie blickte nicht Galina an, sondern unentwegt hinüber zum Fluß.
»Nirgendwo kann ich meinen Gefangenen finden.«
»Du suchst ihn?«
»Natürlich!«
»Du wirst ihn nicht finden.«
»Was sagst du da?« Die Opalinskaja starrte Lida Iljanowna an, als habe das Mädchen den Verstand verloren. Dann stieg es heiß in ihr auf, mit beiden Händen griff sie an Lidas Bluse, krallte sich darin fest und riß sie nahe an sich heran.
»Du findest ihn nicht«, sagte Lida ruhig.
»Versteckt hast du ihn, was? Du kleines, katzenheißes Luder! Wo ist er? Gib ihn heraus! Geht hin und versteckt mir meinen Gefangenen! Gib ihn heraus, sag ich!«
Sie rüttelte Lida Iljanowna. Die wehrte sich nicht, wartete ab, ließ die Opalinskaja sich austoben und sagte dann, während Galina Atem holte:
»Ich habe ihn nicht versteckt.«
»Lüg nicht!« kreischte die Opalinskaja.
»Ich schwöre es beim Augenlicht meiner Mutter. Ist das genug?«
»Das kannst du gut schwören, wenn sie blind ist!« schrie Galina. »Du weißt, wo er ist! Dort unten am Fluß? In einer Fischerhütte? Ein Liebesnest, nicht wahr? Die ganze Nacht habt ihr geheckt, und nun ist er müde und schläft, und du stehst für ihn Wache. Ist es so? Gib Antwort! Weshalb stehst du am Fluß? Stampfst durch den Schlamm? Da unten hat er sich versteckt, leugne nicht!« Sie griff wieder zu, riß Lida an sich und schrie ihr in die Augen: »Du führst mich zu ihm! Sofort gehst du voran und zeigst mir den Weg! Oh, du Hurenaas, ich bringe dich um, wenn du dich weigerst!«
»Das tätest du?« fragte Lida
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