Frauenbewegung und Feminismus - eine Geschichte seit 1789
Verfügung über ihr in die Ehe eingebrachtes oder später erworbenes Eigentum gewährte. Doch mit dieser Gesetzesreform in einem Einzelstaat war die völlige Rechtlosigkeit der Ehefrauen in allen anderen Staaten keineswegs beseitigt, denn in dem auch in den USA geltenden englischen
common law
unterlag die Ehefrau der sog. coverture, d.h., sie war «verdeckt», verschwunden in der Rechtsperson des Mannes, selbst keine Person im Rechtssinne.
Der Text der
Declaration of Sentiments
ist – ähnlich wie die Frauenrechtserklärung von Olympe de Gouges im Rekurs auf die Menschenrechtserklärung – als eine Paraphrase auf die Amerikanische Unabhängigkeitserklärung von 1776 formuliert, d.h., Sprachstil und die jeweiligen Forderungen entsprechen sich. Wenn es da im Original von 1776 hieß: «Wir halten diese Wahrheiten für keines Beweises bedürftig, dass alle Menschen gleich geschaffen sind …», so lautete der Satz nun: «(…) dass Mann und Frau gleich geschaffen sind». Und wenn in der Amerikanischen Unabhängigkeitserklärung der englische König der Adressat der Forderung nach Selbstbestimmung war, dessen Machtmissbrauch und Anmaßungen gerügt wurden, so ist in
Declaration of Sentiments
der «absolute Despotismus des Mannes» der Angriffspunkt, an den die Anklage und die Einforderung unveräußerlicher Rechte der «Natur und ihres Schöpfers» gerichtet werden.
Der Widerhall und das öffentliche Aufsehen, das die Veranstaltung erregte, waren beträchtlich. Die Presse berichtete landesweit, teilweise verständnisvoll, und druckte Teile der
Erklärung
ab, während andere Zeitungen insbesondere auf die Forderung nach politischen Rechten mit üblichem Spott und Hohn reagierten. Trotzdem hatte dieses Signal zum Aufbruch deswegen so nachhaltigen Erfolg, weil die Amerikanerinnen, gestützt auf ein Netzwerk von Sozialreformerinnen, von nun an bis zum Ausbruch des Amerikanischen Bürgerkriegs 1861 jährlich unter großerBeachtung der Öffentlichkeit Frauenrechtskonferenzen abhielten und damit einen immer größeren Kreis von Anhängerinnen einwerben und ihre Organisationen ausbauen konnten. Ein wesentlicher Unterschied zur europäischen Situation aber bestand darin, dass die amerikanischen Frauenrechtlerinnen bei ihrer Propaganda, bei Versammlungen und Kampagnen von einer nicht unerheblichen Zahl prominenter Männer unterstützt wurden – im Gegensatz zu dem politischen Maulkorb für alle Frauenbestrebungen nach der 1848er Revolution in den meisten Teilen Europas sowie einem reaktionären Antifeminismus, der nach 1850 auf allen Seiten des politischen Spektrums und in den Wissenschaften gepflegt und selbst ex cathedra gelehrt wurde (etwa von Pierre-Joseph Proudhon, Jules Michelet oder Wilhelm H. Riehl).
Bemerkenswert aber bleiben die internationalen Verbindungslinien und Spuren eines neuen feministischen Bewusstseins, die nun über nationale Grenzen und den Atlantik hinweg in beiden Richtungen geknüpft und gelegt wurden – hier nur einige Beispiele:
Harriet Taylor Mill
(1807–1858), die gerade den Nationalökonomen und Philosophen John Stuart Mill geheiratet hatte, veröffentlichte 1851 in der englischen
Westminster Review
einen ausführlichen Bericht über die erste amerikanische Frauenrechtskonferenz in Worcester (Mass.) aus dem Jahr 1850, auf der sowohl rechtliche Gleichheit wie auch das Frauenstimmrecht gefordert wurden. Harriet Taylors Essay
Enfranchisement of Women
verschaffte diesen Forderungen auch in Europa Publizität und avancierte zur meistverkauften Schrift der amerikanischen Frauenbewegung. Ins Deutsche übertragen wurde sie von Sigmund Freud und verschwand in der ersten deutschen Ausgabe der
Gesammelten Werke
(1880) zunächst unter J. St. Mills Namen. Taylors Beitrag sollte jedoch die Grundlage bilden für das von Mill und Taylor gemeinsam geschaffene Standardwerk des Feminismus
Die Hörigkeit der Frau
(1869), das in viele Sprachen übersetzt zum Weltbestseller wurde. – Jeanne Deroin wiederum schrieb zusammen mit Pauline Roland noch aus dem Gefängnis eine Grußadresse an die amerikanische Frauenrechtskonferenz 1850 in Worcester und veröffentlichte 1852 auf Französischeine Zusammenfassung von Harriet Taylors Essay. – Wie viele andere 48er war auch Mathilde Franziska Anneke in die USA emigriert und arbeitete dort als Journalistin für deutschsprachige und amerikanische Zeitungen. Sie gab von 1852 bis 1854 in Milwaukee eine
Deutsche Frauenzeitung
heraus und hielt auf der dritten amerikanischen
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