Frauenbewegung und Feminismus - eine Geschichte seit 1789
sich entwickelt und verfestigt hatten, noch ehe Frauen in das politische Leben getreten waren. Der Vorrang von Parteiinteressen vor Fraueninteressen war eine unverrückbare Tatsache in allen Parteien. Immerhin gelang es durch interfraktionelle Frauenbündnisse jenseits der Parteidisziplin, auf dem Gebiet der Sozialpolitikeine Reihe von Gesetzen auf den Weg zu bringen, die wie im Nachklang auf alte Forderungen der Vorkriegsfrauenbewegung auch «Frauengesetze» genannt wurden. Dazu gehörten u.a. das Jugendwohlfahrtsgesetz (1922), das Jugendgerichtsgesetz (1923), das Gesetz über die Zulassung von Frauen zu Ämtern der Rechtspflege (1922) u.a., auch das Reichsgesetz zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten von 1927, das ein langes Kapitel der Frauenbewegungsgeschichte im Kampf gegen die staatlich reglementierte Prostitution abschloss. Diese Schwerpunktsetzung der «Frauenpolitik» im Bereich der Wohlfahrtspflege war gleichwohl zweischneidig, weil sie gleichzeitig zur Ausgrenzung aus der «großen Politik» führte. So mussten die beteiligten Frauen am Ende der 1920er Jahre feststellen, dass sie in den großen politischen und wirtschaftlichen Fragen nach wie vor Randfiguren geblieben waren.
Für die Beurteilung des Handlungsspielraums von Frauen in Politik und Wirtschaft in dieser Zeit ist allerdings zu berücksichtigen, dass trotz der verfassungsrechtlichen Garantie staatsbürgerlicher Gleichberechtigung gemäß Art. 109 der Weimarer Verfassung, die auch noch durch ein «grundsätzlich» eingeschränkt wurde, die Ungleichheit im Privatrecht, insbesondere im Familienrecht nach dem
BGB
von 1900 erhalten blieb. Danach war eine Ehefrau vor allem anderen zur Familien- und Hausarbeit verpflichtet, war der Ehemann immer noch berechtigt, die Arbeitsverträge der Ehefrau zu kündigen, hatte er immer noch das Entscheidungsrecht in allen ehelichen Angelegenheiten. Zusammen mit der Rechtskommission des
BDF
hatte
Marie Munk
(1885–1978), die erste Richterin Deutschlands und später, nach ihrer Emigration, Professorin an der Harvard-Universität, Vorschläge zur Reform des Familienrechts ausgearbeitet und mit Erfolg auf dem Deutschen Juristentag 1924 vertreten. Doch sie wurden erst mehr als 30 Jahre später im Gleichberechtigungsgesetz von 1957 berücksichtigt. Gegen die Bestimmung des Art. 128 der Weimarer Verfassung wurde zudem das sog. Beamtinnenzölibat, aufgrund dessen Beamtinnen bei ihrer Verheiratung aus dem Staatsdienst entlassen wurden, mit Billigung aller Fraktionen des Reichstages immer wieder erneuert.
Im internationalen Vergleich lagen die deutschen Frauen bei der Erlangung des Stimmrechts durchaus im Mittelfeld. Sie erhielten es sogar früher als die Siegermächte: die USA 1920, England 1928 (1918 nur für Frauen von über 30 Jahren) und Frankreich erst 1944. Vorläufer in Europa waren Finnland 1906, Norwegen 1913 und Dänemark 1915 sowie Russland 1917. Schweden, das 1919 das Frauenwahlrecht gewährte, aber bereits 1920 die Gleichberechtigung auch im Familienrecht einführte, und die übrigen skandinavischen Staaten sind Beispiele dafür, dass volle Staatsbürgerschaft den Genuss sowohl von politischen
und
zivilen als auch sozialen Bürgerrechten voraussetzt. Ein traditioneller Familienpatriarchalismus und die strukturellen Benachteiligungen auf dem Arbeitsmarkt unterliefen somit in (West-)Deutschland, das erst 1977 formal die Gleichberechtigung in der Ehe durchsetzte, von vornherein die Möglichkeit, als gleichberechtigte Bürgerin Politik zu machen. In Ostdeutschland, das seit 1945 auch eine eigene Frauengeschichte hat, konnten jedoch auch die zivilrechtliche Gleichstellung in der Ehe sowie weitgehende soziale Berechtigungen die Beschneidung grundlegender politischer Freiheitsrechte nicht wettmachen.
Internationale Beziehungen und nationale
Entwicklung im
BDF
Auch im Hinblick auf die internationalen Beziehungen der Feministinnen und ihrer Organisationen fand am Beginn der 1920er Jahre ein Rollen- und Politikwechsel statt. Die Stimmrechtlerinnen, Sexualreformerinnen und Pazifistinnen hatten sich, wie oben angedeutet, für andere Formen politischer Einmischung entschieden. Da sie den Kampf ums Stimmrecht für erledigt hielten, engagierten sich die meisten auf internationaler Bühne im Rahmen der
Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit (IFFF/Women’s International League for Peace and Freedom = WILPF)
– eine der wenigen Nichtregierungsorganisationen der «alten» Frauenbewegung, die bis heute
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