Freche Mädchen... 09: Liebe, Chaos, Klassenfahrt
»Bestimmt hat Natascha die Haare gefärbt«, meinte sie nach einer Weile. »Ich seh so was sofort.«
»Klar sind die gefärbt«, sagte ich. Ich spürte, wie ich immer müder wurde.
»Ich hab mal von einer Frau gelesen, die mit blond gefärbten Haaren in einem Swimmingpool tauchte und dann mit grünem Haar wieder rauskam«, erzählte Anke. »Das stand jedenfalls neulich in der Zeitung. Irgendein chemischer Prozess muss da abgelaufen sein, aber frag mich bitte nicht, welcher.«
»Du bist sicher, dass die Frau mit grünen Haaren rauskam?« Ich richtete mich auf. »Meinst du, wir sollten mal vorschlagen, in Erdmannsweiler schwimmen zu gehen?«
Wir kicherten beide.
»Stell dir Natascha mal mit grünen Haaren vor. Was meinst du, ob dein Vater begeistert sein würde? Wir sollten Danni fragen, wie so etwas geht. Unterrichtet er nicht auch Chemie?«
Ich kicherte. Die Wärme und das gleichmäßige Rattern des Zuges machten mich unheimlich müde. »Weckst du mich, wenn wir aussteigen müssen?«
»Ich hab den Wecker an meiner Armbanduhr schon gestellt«, flüsterte Anke. »Gute Nacht.«
Ich werde so unfreundlich wie möglich zu Natascha sein, nahm ich mir beim Einschlafen vor. Das würde mir bestimmt nicht schwerfallen. Sie sollte ruhig merken, wie das ist, wenn man einer Scheidungswaisen den Vater wegschnappt. »Scheidungswaise« – den Ausdruck hatte ich neulich in einer Illustrierten gelesen und ich fand, er passte genau auf mich. Ich war also auf Papa angewiesen. Und wenn ich eine neue Mutter bekäme, dann wollte ich da ein Wörtchen mitreden. Keine Natascha! Auf keinen Fall Natascha!
»Was?« Anke schreckte hoch. »Was ist mit Natascha?«
»Ach nichts«, murmelte ich und drehte mich auf die andere Seite.
Irgendjemand hatte mir meine Bettdecke weggenommen. Schlaftrunken richtete ich mich auf und suchte ein bisschen herum. Dann kapierte ich endlich, dass ich nicht zu Hause in meinem Bett lag, sondern in einem Zugabteil, in dem es inzwischen recht kühl geworden war. Mir gegenüber lag Anke und schnarchte leise. Wo waren eigentlich die anderen aus der Klasse? Ich stand auf und blickte mich vorsichtig um. Im Abteil war es fast dunkel. Ich zog die Vorhänge zurück. Die Fenster waren leicht beschlagen und mit der flachen Hand wischte ich darüber. Irgendetwas stimmte nicht und plötzlich wusste ich, was fehlte: Das Ruckeln des Zuges hatte aufgehört. Wir standen. Fünf Uhr dreiundzwanzig, las ich auf dem Zifferblatt meiner Uhr. Ich war überhaupt nicht mehr müde und beschloss, nach dem Rest der Klasse zu schauen. Vielleicht kann ich ja auch ein Foto von Natascha schießen, wie sie mit offenem Mund daliegt und blöd ausschaut, überlegte ich. Das wäre doch ein nettes Geburtstagsgeschenk für Papa. Ich kicherte halblaut und Anke richtete sich auf.
»Sind wir schon da?«, murmelte sie schlaftrunken. »Müssen wir umsteigen?«
»Ne, der Zug hat hier nur Aufenthalt«, beruhigte ich sie. »Wir sind in …« Ich presste mein Gesicht an die Fensterscheibe, konnte aber kein Schild entdecken. »Na, ist auch egal, ich frag mal den Dannitzki, wo wir sind.«
Ich suchte meine Schuhe, bis mir einfiel, dass ich sie wegen der Hitze gestern Abend im anderen Abteil ausgezogen und dort stehen gelassen hatte.
Inzwischen war meine Freundin wach geworden. »Gehst du nach vorne?«, fragte sie.
Ich nickte.
»Bring doch bitte meinen Pulli mit, hier erfriert man ja sonst«, sagte sie.
Wir haben ganz schön lange Aufenthalt, fand ich. Fünf Uhr dreiunddreißig war es, als ich mit einem Ruck die Tür zum nächsten Wagen öffnen wollte, aber die Tür ließ sich keinen Millimeter bewegen. Jenny fiel mir ein, die sich entschieden weigert, auch nur einen Meter mit der Bahn zu fahren. Lieber leistet sie sich teure Taxifahrten – das sei nervenschonender, behauptet sie. Und in diesem Moment konnte ich sie sehr gut verstehen.
»Ich krieg die Krise«, murmelte ich und das stimmte tatsächlich. Ich hatte allen Grund dazu. Ungläubig starrte ich durch das Fenster der Tür. »Das gibt’s doch nicht.«
»Was gibt es nicht?«, fragte Anke.
Ich sagte gar nichts.
»He, was ist los mit dir?« Anke war aufgestanden und hopste mir auf einem Bein entgegen. Als sie meinen schockierten Gesichtsausdruck sah, lachte sie. »Das ist gegen Zellulitis – Wabbelbeine, verstehst du. Dagegen mache ich jeden Morgen Gymnastik. Man muss eben rechtzeitig mit solchen Dingen anfangen und …«
»Ich befürchte, deine Wabbelbeine sind im Moment das kleinere
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