FreeBook Das Laecheln der Gerberstochter
herumlaufen, mein Herr?«
Lohgerber Münkoff war richtig in Fahrt gekommen, während er seine Arbeit verteidigte.
»Als die ersten Gerber aus Tierhäuten Leder herstellten, da wusste man noch nichts von Fürsten, Ratsherrn und Advokaten. Wir waren schon lange vor ihnen da! Wir haben den Menschen Kleider und Schutz vor Kälte gegeben. Wir haben Pferdesattel und Zaumzeug erst möglich gemacht, die Federung der Kutschen und die Schürze des Schmieds. Gerben ist das älteste Gewerbe der Welt, und Gott war der erste Gerber! Schließlich hat er Adam und Eva Kleidung aus Fellen gemacht.
Hätten die Menschen damals sich einfach nur Tierhäute und Felle umgehängt, um sich gegen Regen und Kälte zu schützen, sie hätten nach wenigen Tagen wie Aas und Luder gerochen! Ohne Gerben verfaulen die Häute oder werden in der Sonne bretthart. Erst durch uns werden sie zu Leder, werden sie haltbar und angenehm weich. Leder ist eines der ersten vom Menschen hergestellten Materialien. Es gibt nichts, durch das man es ersetzen kann! – Und wissen Sie nicht, dass der große Apostel Petrus eine lange Zeit in Joppe bei Simon, dem Gerber, gewohnt hat? Der hat unser Handwerk nicht mit gerümpfter Nase verhöhnt.«
Jetzt war Benno interessiert. Er hatte sich nicht vorstellen können, dass Hans Münkoff so viel reden würde. Aber bei seiner Berufsehre gepackt, hatte der Mann ihn neugierig gemacht.
Benno warf einen kurzen Seitenblick auf Rosa, die auch erstaunt schien, dass ihr Vater mehr als zwei Sätze gesagt hatte.
»Erzählen Sie mehr über das Gerben. Bitte! Ich habe nie darüber nachgedacht, was alles geschehen muss, damit aus einer Kuhhaut ein Stiefel wird. Da bin ich wie ein dummer Junge, und ich möchte gerne wissen, wie Sie das machen.«
Der Lohgerber schaute ihn verdutzt an. Sicherlich war er auch darüber erstaunt, dass der Advokat ihn mit ›Sie‹ anredete, statt ihn einfach nur zu duzen, wie dies alle in der Stadt taten. Und dass jemand aus der besseren Gesellschaft mehr über seine Arbeit wissen wollte, war mehr als ungewöhnlich.
Der Mann kratzte sich am Kopf und brummte dann: »Gut, kommen Sie mit in die Werkstatt.«
Während sie die Gasse überquerten, begann er zu erzählen.
»Schon die ersten Menschen haben Tierhäute bearbeitet, um sie haltbar zu machen. Dabei haben sie mit der Zeit herausgefunden, wie Rauch, Fett und Pflanzenstoffe die Häute verändern. Später benutzte man Kiefern-, Erlen- und Granatbaumrinde, Galläpfel sowie Eicheln zum Gerben. Aber weil es eine stinkende Arbeit ist, wurden wir Gerber nie geachtet. Die faulenden Häute, die streng riechenden Gerbstoffe, die Gefahr, krank zu werden und sich zu vergiften, all das führte dazu, dass man uns als unreine oder unehrliche Handwerker betrachtet.«
Er schüttelte unwillig seinen Kopf.
»Aber Ledertäschchen, Lederschuhe und Ledersessel möchten die Reichen schon haben, die so verächtlich auf uns herabschauen.«
»Was unternimmt man denn dagegen, dass die Tierhäute und Felle verfaulen, bis sie in die Gerberei kommen?«, fragte Benno dazwischen.
»Meistens werden sie gesalzen«, warf Rosa ein.
»Richtig, manchmal aber auch nur getrocknet«, fuhr ihr Vater fort. »Wenn wir sie erhalten, werden sie zunächst in Wasser eingeweicht. Dann kommen sie in den Äscher. Das ist eine Erdgrube, wo sie einige Stunden oder Tage in Kalkmilch liegen. Danach werden sie enthaart und die Haut am Gerberbaum entfleischt.«
Hans Münkoff wies auf einen schräg aufgestellten Baumstamm, an dem ein Geselle in Lederschürze mit einem rundgebogenen Messer, das zwei Griffe besaß, ein Schaffell abkratzte.
»Abfälle und minderwertige Lederstücke werden zu Hautleim oder Gelatine verarbeitet.«
Der Lohgerber war nun richtig in Fahrt gekommen, weil er das ehrliche Interesse des jungen Mannes sah.
»Im Äscher quillt die Haut stark auf, deshalb wird sie nun entkalkt, manchmal auch mit Seife gewaschen, wenn sie noch sehr fettig ist. Dann ist sie fertig für das Gerben. Durch die Gerbstoffe wird die Haut in Leder umgewandelt.«
»Darf ich Sie noch etwas fragen?«
»Ja, bitte.«
»Warum nennt man Sie ›Lohgerber‹?«
»Weil ich nicht mit Mineralsalzen, Rauch oder Fischölen arbeite, sondern mit pflanzlichen Gerbstoffen, Blättern, Rinden, Hölzern und Früchten. Das Wort ›loh‹ bedeutete früher ›abreißen, schälen‹, also vom Baum die Rinde abschälen.«
»Aha. Kommt daher auch der Name ›Lohwälder‹?«, wollte Benno wissen.
»Sie haben es erraten, mein
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