FreeBook Das Laecheln der Gerberstochter
Stadt sein.«
»Und das alles bietet uns die Neue Welt?«, fragte Hans Münkoff und blickte seine Tochter skeptisch an. Man sah ihm an, dass es schwer in ihm arbeitete.
»Ja, so habe ich es gehört.«
»Rosa, von wem haben Sie das alles?«, fragte Benno ein wenig skeptisch.
»Ein Schiffer hat mir von diesem Neuengland erzählt. Er hat ein Buch gelesen, das ein Mann namens Smith vor fünfzehn Jahren geschrieben hat. Dieser Mann hat das Land genau erkundet. Es soll dort viel Wald und viele Fische geben. Es haben sich dort schon viele englische Anhänger des Reformators John Calvin niedergelassen.«
»Die Puritaner«, erklärte Benno.
»Ja, so glaub ich, hat der Schiffer die Leute genannt«, nickte Rosa.
»Mann, was für ein Gedanke!«, rief Hans Münkoff aus. »Was für ein faszinierender Gedanke! Auswandern, alles zurücklassen. Weg aus diesem von Krieg und Elend geschüttelten Land. Neu anfangen in der Freiheit, wo keine Fürsten über unser Schicksal bestimmen.«
»Nun, der englische König Karl I. hat auch dort das Sagen«, gab Benno zu bedenken, »und der ist ein absolutistischer Herrscher. Neuengland ist nur eine Kolonie.«
»Der Schiffer hat aber gesagt, dass die Auswanderer viel mehr Freiheiten hätten als zu Hause in England«, gab Rosa zurück. »Außerdem könne man weiter nach Westen ziehen, wo kein Rotrock hinkäme. Das Land sei unermesslich groß.«
»Kein Rotrock?«, fragte ihr Vater.
»Englische Soldaten«, erklärte Benno.
»Aha.« Hans Münkoff holte Atem und wandte sich wieder an seine Tochter: »Rosa, wenn das alles so schön ist, wie es klingt, dann sollten wir weiter darüber nachdenken. Nachdem ich gehört habe, dass wir hier alles verlieren werden, bin ich für alles Neue offen. Was sollen wir noch hierbleiben, wo Katholische und Protestanten sich aus Macht- und Geldgier gegenseitig die Köpfe einschlagen und dies mit ihrem Glauben fromm verbrämen?! Mich hält hier inzwischen nichts mehr.«
»Die Überfahrt in die englischen Kolonien wird aber nicht ganz billig sein«, sagte Benno. Er sah nicht besonders glücklich aus, denn er würde Rosa verlieren, wenn die beiden ihre Pläne wahr machten. Oder er müsste ebenso alle Brücken hinter sich abbrechen und mit ihnen gehen. Aber wollte er das überhaupt? Würde er mit Rosa in der Wildnis der Neuen Welt glücklich werden? Dort war es mit der Zivilisation noch nicht weit her – und er, Benno Greve, war ein Mann der Bildung, ein Advokat. Er liebte geistvolle Gespräche, Literatur und gute Musik. Gab es so etwas überhaupt schon in den Kolonien von Neuengland? Er bezweifelte es.
Das Bild von Anneliese erschien vor seinem geistigen Auge. Mit ihr würde er ein anderes Leben führen können – eben genau ein solches Leben, von dem er als Student immer geträumt hatte. An auf Hochglanz polierten Tischen mit Kristallgläsern und Silberbesteck tafeln, ausgewählte Speisen zu sich nehmen, in der Gesellschaft angesehen sein, modische Kleidung tragen und über Gott und die Welt diskutieren und studieren können – das alles würde ihm eine Ehe mit Anneliese ermöglichen.
Er blickte Rosa an und vergaß auf der Stelle alles, was er gerade in Gedanken angeführt hatte. Auch Anneliese und das Leben als wohlgesetzter Bürger verschwanden wie in einem Nebel.
»Kommt Zeit, kommt Rat«, sagte Hans Münkoff gerade.
»Wie bitte?« Benno schaute ihn ein wenig verständnislos an. »Entschuldigung, ich war gerade in Gedanken woanders.«
»Wir müssen jetzt nichts entscheiden. Außerdem habe ich ein wenig gespart. Vielleicht reicht das ja für eine einfache Schiffspassage.«
»Mir kommt da gerade eine ganz andere Frage«, meldete sich Rosa wieder. »Wenn Sudenburg zerstört wird und Tillys Söldner bis zur Stadtmauer vorrücken, wie kommen wir dann zu unserem Ruderboot?«
»Gute Frage, mein Liebes«, erklärte ihr Vater. Er wirkte jetzt nicht mehr so zurückgezogen und verschlossen wie die Tage davor. Irgendetwas schien ihn zu beleben, und es war sicherlich nicht nur der Gedanke, woanders ganz neu anzufangen. Doch dann warf er einen kritischen Blick auf Benno, der am Türrahmen lehnte, und verstummte.
»Was ist, Vater?«, wollte Rosa wissen.
Doch ihr Vater gab darauf keine Antwort, sondern wandte sich an Benno und schaute ihm fest in die Augen: »Kann ich Ihnen trauen, Herr Advokat?«
Der nickte, ohne den Blick abzuwenden: »Ja, das können Sie, Meister Münkoff. Rechtsanwälte müssen die Geheimnisse ihrer Mandanten notfalls bis ins Grab
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