freeBook Kein Espresso fuer Commissario Luciani
wie vor vielen Jahren; die
Frau, die sie seit langem pflegte, mußte noch über eine ruhige und sichere Hand verfügen.
Marco Luciani ließ den Blick über den Hügel des »Boschetto« schweifen und betrachtete nacheinander jede Villa, jedes Haus,
das in dem Wäldchen versteckt lag. Hie und da stieg aus einem der Gärten, die zwischen Trockenmauern gezwängt waren, der Rauch
eines Reisigfeuers oder der Strahl einer Besprenkelungsanlage in den Himmel. Unten lag Camogli mit seinen gelben, roten und
rosafarbenen Häusern, die Kapelle am Meer, die azurblaue Fläche, die von den Fährschiffen nach San Fruttuoso durchpflügt wurde.
Dieser Holzkopf von Manager hat sich nicht einmal richtig über mich informiert, dachte Marco Luciani. Er weiß eine Menge,
aber das Entscheidende weiß er nicht. Er hat sich nicht einmal die Mühe gemacht, herauszubekommen, was mich wirklich interessieren
könnte, womit er mich hätte ködern können. Offensichtlich sind Männer sehr einfach gestrickt: Geld, Häuser, Frauen. Vielleicht
noch ein Auto. Er hätte ein bißchen mehr Phantasie aufbringen können, mir vielleicht ein paar Wimbledon-Tickets, zwei neue
Schläger oder ein Abendessen mit Anna Kournikowa anbieten können. Er hätte zumindest gezeigt, daß er meine Vorlieben kennt.
Die Läden der Villa waren fast alle geschlossen, der Westflügel sah aus, als wäre er lange schon unbewohnt. Das war der Flügel
mit den Gästezimmern und -bädern. Er stellte sich die weißen Laken vor, die Sessel und Sofas einhüllten, den Staub, der die
Terrazzoböden bedeckte, das Parkett, das allmählich Glanz und Halt verlor. Wahrscheinlich war auch das Billardzimmer schon
lange verschlossen, auch dort mußte ein Laken über dem grünen |164| Filz liegen. Tücher über dem Pool, Tücher über den Polstermöbeln, Tücher über dem Billardtisch und auch über dem Auto in der
Garage. Leichentücher. Leichentücher, in die sich Erinnerungen von Menschen hüllten, die in diesem Haus früher die Ferien
verbrachten. Und eines Tages würden sie die Menschen selbst einhüllen, und zwar für immer.
Er meinte, hinter der Glastür zur Küche, im Erdgeschoß, einen Schatten gesehen zu haben. Instinktiv sprang er zurück, versteckte
sich hinter einem Baum. Er blieb eine Weile in Deckung, während sein Herz heftig schlug. Er versuchte langsam und tief zu
atmen, langsam und tief. Als er sich ein wenig beruhigt hatte, warf er noch einen flüchtigen Blick auf die Tür. Der Schatten
war, falls es ihn gegeben hatte, verschwunden.
Er machte sich auf den Heimweg, er war so müde, daß er mit den Füßen schlurfte. Es war ein anstrengender Tag gewesen, doch
nun konnte er endlich ins Bett und sich ausschlafen; am nächsten Tag würde ihn vielleicht eine angenehm warme Sonne wecken,
die die Welt in erfreulicheres Licht tauchte.
Er kam durch menschenleere Gassen, wo er nur einen Marokkaner traf, der sich schleunigst sonstwohin verdrückte, dann ein Grüppchen
betrunkener Südamerikaner, die ihn fragten, wo »las putas« seien. Der Kommissar schickte sie ein Stück weiter. Als sie ihn
zum Mitkommen animierten, verabschiedete er sich mit einer vagen Geste und ging seines Weges. Er bog um eine Ecke, wobei er
heftig auftrat, um die Ratten zu verscheuchen. Er wollte starr geradeaus schauen, filzte mit dem Blick schließlich aber doch
wieder die Ritzen unter den Müllcontainern. Er ekelte sich davor, Ratten aufzuspüren, aber noch schlimmer war es, wenn sie
ihm völlig unvermittelt vor die Füße schossen.
Die Straßenlaterne bei seinem Haus funktionierte nicht, |165| auf dem Boden lagen Scherben: Offensichtlich hatte ein Junge sich einen Spaß daraus gemacht, sie mit Steinen abzuschießen.
Die letzten fünfzehn Meter würde Luciani in nahezu völliger Finsternis zurücklegen, was ihm nicht behagte. Er holte die Schlüssel
hervor und klimperte, um die Ratten zu verscheuchen. In einem Hauseingang zu seiner Rechten schien sich etwas zu bewegen;
Luciani ging zügig weiter, bog in den Weg zu seinem Haus ein und wäre fast gegen zwei junge Männer geprallt, die wenige Meter
vor dem Eingang standen. An ihren Blicken und den mit bunten Schals vermummten Gesichtern war zu erkennen, daß sie seinetwegen
da waren. Einige Sekunden lang rührten sie sich nicht, Marco Luciani wartete, daß sie den Weg freigeben würden, doch die zwei
sahen ihn herausfordernd an, als ob sie einen Vorwand für eine Schlägerei suchten. Sie waren
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