FreeBook Nomenclatura - Leipzig in Angst
„Prima, junger Mann. Wo müssen Sie so eilig hin?“
„Wir bearbeiten einen wichtigen Fall, Zeugenbefragung ...“
„Na, das passt ja gut. Machen Sie weiter und tun Sie so, als wenn ich nicht da wäre. Wenn es notwendig wird, Toni, dann melde ich mich.“
Engler versuchte sich aus dem Griff der Dame zu lösen, was ihm jedoch nicht gelang. Diese Frau hatte richtig Kraft in den Armen, einen dichten Oberlippenbart und eine einnehmende Sphäre.
„Sagen Sie mir bitte, wer Sie sind?“
„Oh, Verzeihung, Toni. Mein Name ist Hanni Polterer, K 1 Hamburg, in vier Wochen vierzigjähriges Firmenjubiläum, KOK und angeblich die beste Polizeipsychologin Deutschlands. Das behaupten wenigstens die Straftäter, mit denen ich bisher zutun hatte. – Toni, Sie sind mir sympathisch, Sie dürfen Hanni zu mir sagen.“
„Hanni?“ Engler schluckte tief. Die Glacéhandschuhe! Und so wiederholte er: „Hanni. In Ordnung, Toni sagen Sie ja eh die ganze Zeit. – Sie wollen wirklich mit?“
„Betrachten Sie mich als vollwertiges Mitglied der SoKo ERIK. Dann wird das schon mit uns beiden.“
„Ja, ja, wird schon mit uns beiden ...“, plapperte Toni nach.
Während die Kommissarin den Assistenten ausfragte, fuhren beide mit dem Lift in die Tiefgarage. Hinrichs BMW stand auf dem angestammten Platz.
„Wie lange haben Sie Ihren Führerschein, Toni?“
Engler errötete leicht. „Lange genug“, gab er von sich und schlüpfte in den Wagen. „Wir müssen uns beeilen, zehn Uhr ist die erste Besprechung der SoKo.“
„Na, dann beeilen Sie sich mal, Toni.“ Hanni Polterer stieg auf der anderen Seite ein, bemerkte die leere Pizzapackung auf der Rückbank und die ebenfalls leere Packung der Süßigkeiten.
„Das ist Hinrichs Fahrzeug“, stellte Engler klar. Er wollte für die Unordnung keinesfalls verantwortlich sein.
„Wenn Sie sein Assistent sind, Toni, und das sind Sie ja schließlich, dann ist das Ihr Müll. So ist die Rangordnung. Ein KOK hat mit wichtigeren Dingen als mit der Müllentsorgung zu tun. Für den Müll hat er einen Assistenten. Erst wenn der Sparzwang der Länder so groß wird, dass man alle Assistenten feuert, dann muss der Oberkommissar seinen Müll selber wegräumen. Sie müssen noch viel lernen, junger Mann. – Sollten wir uns nicht beeilen?“
Engler hatte vergessen, das Fahrzeug zu starten. Er musste erst die Worte dieser anmaßenden Frau verkraften. Von einem Moment auf den anderen liebte Toni Engler seinen Kommissar Hinrich.
Nun startete er und setzte das große Fahrzeug in Bewegung.
Hanni Polterer schwieg. Kaum hatten Sie den Ring erreicht, da stand der BMW in einer nicht enden wollenden Fahrzeugkolonne.
„Mist“, entfuhr es dem Assistenten, „die bauen aber auch überall. Für diesen Citytunnel.“
Hanni Polterer schnallte sich ab, nahm die blaue Rundumleuchte aus der Ablage, öffnete die Beifahrertür, stieg gemächlich aus, machte das Blaulicht an, stellte es mit dem Magnetfuß auf das Autodach, ging zu dem Fahrzeug davor, klopfte dort kräftig aufs Dach, kam zurück und stieg wieder ein.
„Nun geben Sie mal Gas, Toni, aber denken Sie daran: Ich möchte eines Tages eines natürlichen Todes sterben.“
Das Fahrzeug vor dem BMW fuhr mühselig an die Seite, Stück für Stück ging es vorwärts, endlich hatte Engler freie Fahrt. Jahnallee, dann rüber zur Lützner Straße, selbst eine Straßenbahn hielt an.
Engler schwitzte. Er war hochkonzentriert.
„Nicht so verkrampft, Toni. Stoppen Sie mal da vorn an der Haltestelle.“
„Warum denn? Es läuft gerade so gut ...“
„Ich habe gesagt STOPP!“, gab Hanni Polterer von sich, verhältnismäßig laut, so dass der Bremsvorgang etwas abrupt erfolgte. Die Menschen an der Tramhaltestelle traten rasch ein paar Meter zurück. Am Straßenrand schimmerten Pfützen.
Die Hamburgerin schnallte sich wieder ab, holte in aller Ruhe den Müll von der Rückbank, öffnete ihre Tür, stieg aus, begrüßte die wegen des Blaulichtes geschockten Leute, entsorgte den Müll in einem öffentlichen Papierkorb am Haltestellenschild, stieg wieder ein und fragte: „Warum fahren Sie nicht, Toni? Ich denke die Zeit drängt?“
Engler vergaß für einen Moment, dass er einen Automatik fuhr und würgte den BMW ab. Sein Gesicht brannte feuerrot, die Leute an der Haltestelle grinsten unverschämt.
Hanni Polterer fuhr ihm sacht über den rechten Oberschenkel. „Ganz ruhig, min Jung. Wieder anlassen und ein bisschen Gas geben. – Na bitte, geht doch. Motoren sind
Weitere Kostenlose Bücher