FreeBook Nomenclatura - Leipzig in Angst
Fahndungsmeldung raus, Leipziger Norden, gesucht wird ein Kleintransporter, wahrscheinlich ein Mercedes „Sprinter“, im Fahrzeug könnte ein neunjähriger Junge festgehalten werden. Was? – Wiederitzsch, Lindenthal, Gohlis, Radefeld, was weiß denn ich, Sie sind doch von der Verkehrspolizei, hier geht’s um Leben und Tod! Also dalli!“
Nun drückte Hinrich seine Zigarette aus, erhob sich ruckartig, griff nach seinem Mantel und nach dem von Engler, verließ – dicht von Hanni Polterer gefolgt – das Büro, rannte durch den Gang bis zur Pausenversorgung, fuhr seinen Hals aus, entdeckte den Assistenten, und rief laut: „Engler! Auskauen, mitkommen! Schnell!“
Der geplagte Kriminalassistent erhob sich, sammelte zunächst seine Gedanken. Auf dem Gang warf Hinrich ihm den Mantel zu.
„Was ist denn passiert?“ Engler kaute noch.
„Nummer Drei. Wieder ein Erik. Dieses Mal in Wiederitzsch. Vor knapp zwei Stunden. Auf dem Heimweg von der Schule.“
„Was nun sicher ist: Sein Quartier hat der Täter in der Nähe. Diesmal lagen gerade vier Stunden dazwischen“, raunte die Hamburgerin.
In der Tiefgarage kroch Engler hinten in den BMW, die Polterer knallte die Rundumleuchte aufs Dach, Hinrich gab richtig Gas, gerade so, wie es der Automatik zuließ.
„Sie hat nicht geschmeckt“, meinte Hinrich, als der Wagen über den ersten Absatz der Auffahrt sprang und meinte wohl die Zigarette.
„Deshalb wollte ich doch, dass du eine nimmst.“ Hanni Polterer grinste und klopfte nun dem Kommissar auf den rechten Oberschenkel. „Bleib aber mal ganz ruhig ...“
Draußen stand das grünweiße Einsatzfahrzeug der Polizei, die Sirene heulte auf. Kurz darauf kam der Bus der K 3 aus der Tiefgarage geflogen , Schiller zog sich auf der Beifahrerseite noch richtig an, seine junge Assistentin fuhr. Auch die hatte das Martinshorn auf volle Lautstärke gedreht. Die drei Fahrzeuge weckten die Stadt Leipzig aus dem vermeintlichen Mittagsschlaf. Es regnete, die Leute sprangen zur Seite, wenn die lärmende Kolonne nahte. Es wurde rücksichtslos gefahren.
Dafür standen die Fahrzeuge schon sieben Minuten später in Wiederitzsch, wo sogleich ein paar Leute zusammenströmten. Das eingemeindete Städtchen, das territorial nur durch ein großes Krankenhaus von der Stadt getrennt wurde, hatte noch einen recht dörflichen Charakter. Schnell sprach sich das Vorkommnis herum.
Schiller ließ sein Laborfahrzeug zweihundert Meter hinter dem Revier in die Schulstraße abbiegen. Sein VW-Bus hielt kurz darauf auf dem Vorplatz der Kirche. Die Kollegen hatten die Kirchstraße weiträumig abgesperrt und mit rotweißen Polizeibändern gesichert. Der Pfarrer stand draußen, war aufgeregt, kümmerte sich jedoch um heißen Tee. Ein eisiger Wind fegte über den Vorplatz der Kirche.
Schiller grüßte kurz.
Ein Mann näherte sich, schien bereits gewartet zu haben, war unglaublich aufgeregt, zitterte am ganzen Körper, steckte in einer blauen, öligen Arbeitskombi, war für das Wetter viel zu dünn angezogen. „Ähm ... ich bin ... Neubauer, Ulrich. Ich ... bin Eriks Vater ...“, stotterte er.
„Ganz ruhig. – Geben Sie dem Mann mal eine Decke oder so“, rief Schiller einem der Polizisten zu. „Sie warten bitte hier, wir schreiten jetzt die Straße ab. So wie es aussieht, scheint es sehr wahrscheinlich, dass der Junge hier entführt wurde. Ideale Gegend. Im Haus oder Garten hat er sich wirklich nicht versteckt? Bei einem Nachbar kann er nicht sein, weil er vielleicht den Schlüssel verloren hat?“
„Unser Junge hätte uns in jedem Fall informiert“, versicherte der zitternde Mann.
„Na, gut. Mein Kollege holt Sie dann.“
Zu dritt nebeneinander schritt Schiller mit Franziska Hermann und einem weiteren Kollegen langsam die Straße ab. Bis zu der Stelle, an der die ersten Häuser aufhörten und das Brachland begann, war die Kirchstraße geteert, dann folgte ein schlammiger, löchriger, stellenweise mit Schotter aufgefüllter Untergrund. Als die drei vor dem Haus mit der Nummer 88 standen, blickte Schiller auf. „Und?“ Er wartete auf Beobachtungsergebnisse.
Der dritte Kollege zuckte mit den Schultern. „Ich sehe nur Chaos. Nichts Wichtiges.“
Nun durfte die Assistentin sprechen. „Etwa fünfundzwanzig Meter zurück, da war der Boden frisch aufgewühlt, ein paar Steinchen lagen nicht an ihrem Platz.“
Schiller nickte, der dritte Kollege wurde etwas rot im Gesicht, rieb sich verlegen die Hände. Dann klärte Schiller über seine
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