freeBooks Thor - Die Asgard-Saga Roman
behauptete Thor. »Ich bin ihm auch begegnet.«
»Ich weiß.«
»Und er hat mir dasselbe Angebot gemacht wie dir«, fuhr Thor fort. »Mein Leben, wenn ich ihm diene, als …« Er suchte nach dem richtigen Wort, ohne es zu finden. »Als Gefäß.«
»Und er hat sein Wort gehalten«, sagte Loki. »Ich lebe. Und du auch.«
»Leben?« Thor machte ein bitteres Geräusch. »Oh ja. Ich bin irgendwo in diesen Bergen aufgewacht, ohne Erinnerung, ohne zu wissen, wer ich bin, wer ich war … wenn du das Leben nennst.«
»Du nicht?«
»Nein«, antwortete Thor. Er berührte mit Fingerspitzen seine Schläfe. »Das hier ist mein Leben, Loki. Alles woran ich mich erinnere. Alles was ich je erlebt habe, alles was ich bin, ist hier drinnen. Und das hat er mir weggenommen. Hätte ich es vorher gewusst, hätte ich sein Angebot abgelehnt. Er hat mich betrogen.«
»Nein, das hat er nicht«, sagte Loki ernst. »Er hat Wort gehalten. Er hat dein Leben gerettet und dir gezeigt, wie du deinen Körper heilen kannst, und er hat dir noch sehr viel mehr gegeben. Wissen. Macht. Und vor allem das Wissen, wie du diese Macht benutzen kannst.«
»Woher willst du das wissen?«, fragte Thor.
»Weil es bei mir so war und auch bei allen anderen. Und weil du es mir gesagt hast.«
Thor starrte ihn an.
»Du hast dein Gedächtnis verloren«, sagte Loki, »das ist wahr. Aber nicht damals und nicht durch seine Schuld. Es muss geschehen sein, als du von Bord gespült worden bist. Wir hielten dich für tot – die meisten jedenfalls, bis auf Barend vielleicht –, aber wie es aussieht, haben dich die Götter beschützt, und du hast es irgendwie bis an die Küste geschafft.« Er zuckte mit den Schultern. »Vielleicht hat dich auch jemand gerettet. Das werden wir vielleicht nie erfahren.«
»Und ich bin ohne Gedächtnis irgendwo in den Bergen aufgewacht und dann zufällig ausgerechnet auf Urd gestoßen?«, fragte Thor abfällig. »Wer soll das glauben?«
»Wer will schon sagen, was Zufall ist und was nicht?«, erwiderte Loki. »Vielleicht war es Zufall, vielleicht ist die Macht der Unsichtbaren noch sehr viel größer, als wir ahnen.«
»Aber ausgerechnet Urd?«, beharrte Thor. »Ausgerechnet die einzige Lichtbringerin …« Er sprach nicht weiter, als er Urds Blick begegnete und das stumme Entsetzen darin las.
»Ja?«, fragte Loki. »Die einzige Lichtbringerin in diesem Land, willst du sagen? Das war sie nicht. Sie wusste nichts von den anderen, so wie ihre Brüder und Schwestern hier in Oesengard nichts von ihr wussten. Was übrigens deine Idee war.«
»Meine Idee?«
»Deine Freunde aus Midgard«, antwortete Loki. »Sie haben mehr als eine der Schwestern gefangen und verhört. Sie können niemanden verraten, den sie nicht kennen. Ich fand die Idee … ziemlich verrückt, als du sie mir vorgetragen hast, denn sie machte viele Dinge kompliziert, die sonst einfach gewesen wären. Aber wie sich gezeigt hat, war es richtig. Du bist klug, für einen dummen Jäger, der nur so weit zählen konnte, wie er Finger an beiden Händen hatte.« Thor spürte, dass er jetzt wohlein Lachen von ihm erwartete oder wenigstens irgendeine Reaktion, aber er sah ihn nur weiter unverwandt an. Es war ein unheimliches Gefühl, Loki über Dinge reden zu hören, die er gesagt oder getan hatte, ohne sich daran zu erinnern, und umso unheimlicher, weil er jenseits aller Zweifel wusste, dass Loki nicht log.
»Was wollen sie?«, fragte er leise.
»Warum fragst du nicht, was sie uns gegeben haben?«, erwiderte Loki. »Warum stellst du nicht die Frage, die du wirklich stellen willst, Bruder? Nämlich die, warum ich nicht zurückgegangen bin, nachdem ich wieder gesund war?«
»Und warum nicht?«
»Aus dem gleichen Grund wie du, mein Freund«, antwortete Loki, zwar sanft und mit einem angedeuteten Lächeln auf den Lippen, aber auch unerbittlich. Er hob abwehrend die Hand. »Oh ja, ich habe ganz vergessen, dass du dich ja an nichts mehr erinnern kannst. Dann will ich es dir sagen: Weil ich erleuchtet wurde. Weil ich plötzlich sehen konnte. Weil mir klar geworden ist, was für ein erbärmliches Leben ich bis zu diesem Tag geführt habe und was für ein erbärmliches Leben ich bis ans Ende meiner Tage weiter führen würde, wenn ich zu ihnen zurückginge. Also habe ich es nicht getan. Ich habe meine Frau und meine Kinder nie wiedergesehen und sie mich nicht, seit jener Nacht, in der ich weggegangen bin, um nach einer entlaufenen Kuh zu suchen.«
»Gerade war es noch ein
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