Freibeuter der Leidenschaft
„Du musst mir nicht durchs ganze Haus folgen.“
„Clive, bitte geh nicht so fort“, rief sie voller Verzweiflung.
Seine Miene war noch abweisender geworden, und er hatte seine Schritte beschleunigt, hatte sie allein am Ende der Halle stehen gelassen, den Tränen nahe. Es hatte sich angefühlt, als hätte er sie aus seinem Leben verbannt.
Alexi hatte sie an der Hand gezogen. „Was hast du getan, dass Papa so schlechte Laune hat?“, fragte er flüsternd und mit großen Augen.
Amanda wusste nicht mehr, welch schwache Ausrede sie dafür gefunden hatte.
Sie war in ihr Schlafgemach gegangen, wollte nicht weinen und wünschte, sie hätte nicht versucht, ihn zu verführen. Wirklich, sie musste verrückt gewesen sein zu glauben, sie könnte ihn dazu bringen, sein Ehrgefühl zu vernachlässigen, das begriff sie jetzt. Vom Fenster aus hatte sie zugesehen, wie er Harmon House nur mit einem kleinen Koffer verließ. Egal, wie oft sie sich einzureden versuchte, dass er sie wieder anlächeln würde, sobald er zu Hause war, so hatte sie doch das unangenehme Gefühl, dass ihre Freundschaft nie mehr dieselbe sein würde. Clive verließ nicht nur für ein paar Wochen das Land, er ließ auch sie und ihre Freundschaft hinter sich. Nichts konnte symbolträchtiger sein als diese beiden Entscheidungen, abzureisen und sie sobald wie möglich zu verheiraten. Er hatte sich entschieden. Sehr bald schon würde er sie zum Altar führen und einem anderen übergeben. Wenn er das tat, würde der Abstand zwischen ihnen unüberwindlich und dauerhaft sein.
Amanda konnte es nicht tun.
Jetzt war sie sich bewusst, was ihr Herz ihr sagte. Sie liebte Clive de Warenne von ganzem Herzen, und nichts konnte das jemals ändern. Sie konnte nicht einen Mann heiraten, den sie weder kannte noch liebte, nicht einmal für ein sicheres Heim wie Ashford Hall. Nie zuvor war sie trauriger gewesen, denn so konnte sie nicht in Harmon House bleiben, mit gebrochenem Herzen, von ihm abhängig und voller Sehnsucht nach etwas, das es niemals geben würde.
Sie würde nach Hause zurückkehren. Aber erst nach dem Ball.
Amanda ging zum Schrank und nahm langsam das Kleid heraus, das sie zum Ball bei den Carringtons tragen würde. Es war das kostbarste Kleid, das sie je gesehen hatte, elegant genug für ein Hochzeitskleid, mit einem tiefen eckigen Ausschnitt, kurzen Ärmeln, aus goldenem Chiffon über weißer Seide. Sie hatte es kaum erwarten können, es zu tragen, sie war sicher gewesen, dass Clive die Augen übergehen würden, wenn er sie darin sah. Jetzt glaubte sie, dass er sie kaum beachten würde. Sie zweifelte nicht daran, dass er den ersten Walzer nicht mit ihr tanzen würde, hätte er ihr nicht sein Wort darauf gegeben.
Aber Clive de Warenne hielt immer sein Wort.
Er würde dort sein, und sie konnte sich vorstellen, wie sehr es sie in Verlegenheit bringen würde, in seinen Armen zu sein. Nach dem Ball würde sie sich bei ihm bedanken für alles, was er für sie getan hatte – und dann würde sie sich verabschieden.
Ihr Herz sträubte sich dagegen. Amanda hielt sich das Ballkleid unter das Kinn und betrachtete sich im Spiegel. Sie wollte nie wieder La Sauvage sein. Sie wollte nicht mehr wie ein Junge in Hosen über die Insel streunen. Sie würde als Dame zurückkehren! Wenn sie die Garderobe mitnehmen durfte, würde sie das meiste davon verkaufen und einen kleinen Laden aufmachen, sonst würde sie sich das Geld borgen. Sie wusste alles über das Segeln und den Welthandel. Mit diesem Wissen würde sie eine kleine Ladung der schönsten Stoffe importieren – in Kingston hatte es nie genug Kleidergeschäfte gegeben. Sie würde die höchsten Preise verlangen und anfangen, den Gewinn zu sparen. Sobald wie möglich würde sie ihr eigenes Schiff kaufen und eine Mannschaft anheuern, um es zu segeln. Danach, wenn sie ihr eigenes Schiff besaß, würde sie alles importieren und die Welt besegeln, um nach exotischen Waren Ausschau zu halten. Statt zu stehlen oder zu betteln würde sie ein Händler werden, der erste weibliche Händler auf der Insel. Damen waren keine Händler, aber sie würde die erste Ausnahme von dieser Regel werden, so wie Eleanor O’Neill eine Ausnahme war. Wie Eleanor es ihr geraten hatte, würde sie in der Öffentlichkeit ruhig, höflich und gut gekleidet auftreten, und privat würde sie tun, was sie wollte. Nur dann würde sie in der Bucht schwimmen oder von den Klippen westlich von Belle Mer springen.
Ein bisschen existierte noch von dem wilden
Weitere Kostenlose Bücher