Freibeuter der Leidenschaft
gesehen hatte, war sie noch ein Kind gewesen, und er hätte ein Gott sein können. Seit sie ihm vor einer Woche begegnet war, hatte ihr Kummer ihr natürliches Interesse betäubt. Sie würde immer um Papa trauern, aber der Kummer war jetzt leichter zu ertragen. Und das Kind war endgültig fort. Kein Kind konnte dieses wilde, unmögliche Verlangen verspüren – kein Kind diese Sehnsucht an so vielen intimen Stellen fühlen – kein Kind würde so träumen, wie sie träumte. In ihrem Herzen war ein neues und doch so vertrautes Verlangen entstanden, und es wuchs rasch und immer rascher. Ihn am Morgen wie Poseidon den Wellen entsteigen zu sehen, hatte nicht gerade geholfen.
„Bitte, ich darf mich nicht in ihn verlieben“, flüsterte Amanda, und erst als sie die Worte ausgesprochen hatte, fiel ihr ein, dass sie sie laut gesagt hatte. Sie erstarrte, doch Anahid antwortete nicht, und sie bemerkte, dass die Frau tief und fest schlief.
Verliebte sie sich wirklich gerade in diesen gut aussehenden, reichen, adligen Kaperfahrer? Sie sah sein Bild vor sich – das sanfte Lächeln, der kühne Blick, sein muskulöser Körper, die eiskalten Wassertropfen. Verzweifelt fragte sie sich, wie eine Frau sich nicht in ihn verlieben sollte, selbst eine junge Frau von siebzehn Jahren? Sie wollte sich nichts vormachen. Er bevorzugte sehr elegante Damen und würde ihre Gefühle niemals erwidern, obwohl er Zuneigung für sie zu empfinden schien. Aber er begehrte sie – schließlich hatte sie Augen im Kopf und konnte sehen, wann immer das Verlangen ihn überkam.
Sie drückte das Nachthemd an ihre Brüste. Sie waren ungewöhnlich empfindsam, und ihre Haut prickelte. Amanda war heiß und kalt, alles zugleich. Wenn er sie ansah, wurde ihr warm, und in dieser Nacht hatte er sie viele Mal so angesehen, wie ein Mann eine Frau ansieht, mit der er das Bett teilen will. Aber ihr Angebot, für die Überfahrt zu bezahlen, hatte er abgelehnt. Sie hatte sogar angedeutet, dass sie das noch immer tun würde, nur war er auf den Köder nicht angesprungen. Dennoch verlangten ihr Herz und ihr Körper jetzt nach seiner Aufmerksamkeit. Sie wollte zu ihm gehen – und gleichzeitig wurde ihm bei dem Gedanken kalt vor Angst.
Denn wenn sie ihm ihr Herz schenkte, war sie eine Närrin: er würde es gnadenlos brechen. Ihm ihren Körper zu schenken wäre leichter – abgesehen davon, dass er nicht die Absicht zu haben schien, seinen männlichen Trieben zu folgen.
Amanda schloss die Augen und wünschte, sie wüsste, was zu tun war. Sie konnte sich vorstellen, wie de Warenne ihre Wangen umfasste, wie er es zuvor getan hatte. Sie konnte seine große, harte Hand auf ihrer Haut spüren, und sie erzitterte unwillkürlich. Sein Benehmen war so verwirrend! Aber sie hatte auch noch nie zuvor einen echten Gentleman kennengelernt. Und er bevorzugte echte Ladies. Vielleicht hielt ihn das zurück.
Sie blickte an ihrem Nachthemd hinunter. Darin gab es keine Piratentochter, und sie wirkte genau wie die eleganten Damen, die in Kingston umherspazierten.
Amanda erkannte, was sie tun musste, und ihre Furcht wurde noch größer. Aber Männer konnten dumm sein, wenn es um den Trieb ging. Wie oft hatte Papa schon gesagt, dass ein Mann von seinen Trieben gelenkt wurde und nicht von seinem Verstand? Sie schuldete de Warenne so viel – mehr, als sie mit ein paar Nächten in seinem Bett je zurückzahlen konnte – und er begehrte sie in gewisser Weise. Vielleicht versuchte er, ein Gentleman zu sein, vielleicht begehrte er sie auch nicht so sehr, wegen ihres Mangels an Erziehung, aber in diesem Nachthemd konnte sie ihn vielleicht dazu bringen, sich von seinem Körper lenken zu lassen. Wäre das nicht einen Versuch wert?
Vielleicht verliebte sie sich gar nicht in ihn. Vielleicht war sie nicht so anders als die Huren und Freudenmädchen, die sich mit der Mannschaft herumtrieben, vielleicht war sie jetzt in dem Alter, da sie die Bedürfnisse ihres Körpers befriedigen wollte, wie alle anderen es so unübersehbar taten.
Amanda zog Stiefel und Strümpfe aus. Ihre Wangen glühten jetzt. Sie legte sich hin, streifte Hose und die Unterhose ab. Der Gürtel mit der Quaste, Hemd und Chemisier folgten. Leise wusch sie sich, um Anahid nicht zu wecken. Dann schlüpfte sie in das Nachthemd und bürstete sich das Haar.
Ihr Herz schlug wie wild, sodass sie kaum etwas anderes hörte. Sie warf einen Blick auf Anahid, die schlafend in der Koje lag – zumindest dachte sie das, bis die Frau sie ansah.
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