Freibeuter der Leidenschaft
besaß.
Hastig riss sie sich den verhassten Kaftan vom Leib. Sie hatte ihn über der Hose getragen, ein kleiner Akt der Auflehnung, den niemand bemerkt zu haben schien, und der Dolch steckte noch immer in ihrem Stiefel. Klammerte sie sich an ihr altes Leben, für den Fall, dass das neue niemals kommen würde? Sie warf den reich in Türkis, Violett und Gold bestickten Kaftan auf den Boden, dann versetzte sie ihm einen Tritt. Heute hatte sie so tief geknickst, dass sie vornüber gefallen war. Sie war sehr verlegen gewesen. Und um alles noch schlimmer zu machen, hatte de Warenne von der Türschwelle her zugesehen. Statt ihn zu beeindrucken, hatte sie sich zum hundertsten Mal lächerlich gemacht.
Sie bedeckte das Gesicht mit den Händen. Warum konnte Mama sie nicht so lieben, wie sie war?
Warum konnte nicht auch de Warenne sie so lieben?
Ihr Herz schlug schneller. Sie wagte es nicht, dumm und lächerlich zu sein, nicht in Bezug auf de Warenne. Er war ihr Beschützer, und sogar ihr Freund, oder zumindest hoffte sie das. Nie würde er ein einfaches Mädchen wie Amanda Carre wollen, ein wildes Kind wie La Sauvage, weder als seine Geliebte noch als flüchtige Gespielin.
Aber vielleicht wollte er sie, wenn sie die feine Dame aus ihren geheimen Träumen wurde.
Seit ihre neuen Studien begonnen hatten, hatte sie de Warenne kaum gesehen. Sie hatte geglaubt, er würde dabei helfen, sie das Gehen zu lehren, das Knicksen und das Tanzen, zumindest etwas davon. Offensichtlich hatte sie ihn missverstanden – oder er hatte seine Rolle bei ihrer Ausbildung noch einmal überdacht. Als sie versucht hatte, ihm während der zweiten Wache Gesellschaft zu leisten, spät in der Nacht, als ihr täglicher Unterricht beendet war, hatte er ihr befohlen, in die Kabine zu gehen und etwas zu schlafen, hatte deutlich gemacht, dass er ihre Gesellschaft nicht wünschte. Dass ihr nicht erlaubt wurde, bei ihm zu sein, war ein schwerer Schlag gewesen. Sie sehnte sich nicht nur nach seiner Gesellschaft – und seinem Lob – sie vermisste ihn überdies. Sie spürte, dass er Abstand zu ihr hielt, und sie wusste warum. Sie hatte sich ihm an den Hals geworfen, und er wollte solche Aufmerksamkeiten nicht noch einmal.
Amanda wünschte, sie wäre nicht so dumm gewesen.
Da klopfte es an der Tür. Als Amanda sich umdrehte, um zu öffnen, bemerkte sie das silbrige Meer vor dem Bullauge und den geheimnisvollen grauen Himmel. Erregung erfasste sie – sie kamen in schlechtes Wetter. Es war Jahre her, dass sie in einem schweren Sturm gesegelt war.
Sie öffnete die Tür und sah Michelle, der sie anlächelte. Ihre Stimmung hellte sich auf. „Werden wir noch etwas lesen?“ Sie liebte Lesen beinahe so sehr wie das Segeln.
Er strahlte. „ Non, actuellement , ich werde mit Ihrem Tanzunterricht beginnen.“
Ihre Stimmung sank wieder. Bisher hatte ihr Unterricht nur Gehen, Sprechen und den so wichtigen Knicks umfasst. Michelle würde sie das Tanzen lehren? Wenn sie lernen musste, wie man tanzte, so wollte sie das mit de Warenne lernen. Aber vielleicht war es besser so. Sie wollte sich nicht wieder vor ihm blamieren.
„Ich fühle mich nicht wohl“, schwindelte sie. „Können wir morgen anfangen?“
„Mademoiselle, uns bleibt nur noch wenig Zeit! Sie müssen den Walzer lernen, auch wenn wir keine Musik haben. Maintenant, allez-vous !“
„Toppsegel und Bramsegel einholen!“
„Aye, Sir“, sagte der Matrose Clark und eilte davon, um die Befehle weiterzugeben.
Clive wandte sich wieder um und blickte über den Bugspriet hinweg. Der Wind machte jetzt dreiundzwanzig Knoten. Das Wetter verschlechterte sich rapide, und er schätzte, dass er in zwei bis drei Stunden alle Segel eingeholt haben würde. Er verschränkte die Arme vor der Brust und konzentrierte sich auf den Sturm, versuchte, ihn einzuschätzen. Eine böse Vorahnung überkam ihn, die er zu verdrängen suchte. „Vor uns liegt ein Unwetter“, bemerkte er zu MacIver.
„Das ist richtig, Sir.“
„Es wird auch Regen geben.“ Er machte kehrt und ging an den Rand des Achterdecks, von wo aus er zusah, wie die Segel eingeholt wurden, wie er es befohlen hatte. „Clark, ich will die Wachen verdoppeln.“
„Aye, Sir.“ Clark wiederholte den Befehl, dass eine weitere Wache Posten beziehen sollte. Clive war überzeugt, dass er bis Sonnenuntergang alle Männer an Deck haben würde – nicht, dass die Sonne zu erkennen war, da der Himmel immer dunkler und bedrohlicher wurde.
„Herr.“ Unsicheren
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