Freiflug (Die Ratte des Warlords II) (German Edition)
ttert. Anstatt sich über Kepler klar zu werden, war sie nur noch mehr verwirrt. Das Leben eines Menschen bedeutete ihm anscheinend nicht besonders viel. Gleichzeitig schien er es mit seinem eigenen beschützen zu wollen. Es gehörte viel dazu, für die Freiheit eines Mädchens den eigenen Kommandeur zu töten. Wahrscheinlich gehörte noch mehr dazu, Abudi zu töten.
Und nicht weniger, Männer im Krieg zu kommandieren und sie gleichzeitig mit aller Kraft vor dem Tod bewahren zu wollen. Das war für R ebecca eine wichtige Erkenntnis. Sie war erheitert gewesen, als Ngabe mit sichtlichem Stolz von der Ratcompany erzählt hatte. In dem Moment hatte sie den Eindruck, dass diese Männer zwar im Krieg gewesen, aber immer noch wie Kinder waren.
Doch sie, kaum älter als Rebecca selbst, sie waren schon lange keine Kinder mehr. Sie waren wahrscheinlich nie welche gewesen. Und ihr Colonel war der einzige, der ihnen je das Gefühl gegeben hatte, eine Familie zu haben, wichtig und stark zu sein, überhaupt jemand zu sein.
N un verstand Rebecca, dass Keplers Geschichte eng mit der seiner Männer verwoben war. Er hatte ihnen das Leben gerettet. Sehr oft direkt. Aber eigentlich, indem er ihnen beigebracht hatte, sich nicht töten zu lassen, und das war für einen Soldaten mehr wert, als wenn jemand eine Kugel für ihn einfing.
Das andere war, dass diese Männer eines wussten. Kepler würde ohne zu übe rlegen sich aufrecht vor jeden vor ihnen stellen, um diese Kugel abzufangen.
Rebecca war Frau genug, ihre Meinung zu revidieren. Weil sie jetzt wusste, dass niemand ihr je etwas antun können würde. Weil derjenige erst an Kepler und seinen vier Männern vorbei musste.
S ie musste geschäftlich nach England und beschloss, auf dem Rückweg einen Abstecher nach Berlin zu machen, um Kepler kennenzulernen. Allerdings bestand sie darauf, die Reise ohne Leibwächter zu machen.
Weder Mauto noch die Sudanesen besaßen ein Foto von Kepler, weswegen Rebecca ihn sich großgewachsen, hellhäutig und blond vorgestellt hatte, mit e inem willensstarken Gesichtsausdruck, einem harten kalten Blick stahlblauer Augen und einer in jeder Hinsicht herausragend hochmütigen Erscheinung.
Er sah viel profaner aus. Seine kurzen Haare waren weder dunkel noch hell, sondern unspektakulär irgendwo dazwischen, er hatte weder eine römische Nase noch ein prägnantes Kinn, dafür eine hohe Stirn, eingefallene Wangen und er trug einen Dreitagebart. Er war recht klein, allerdings muskulös, das konnte Rebecca auch unter seinem Anzug erkennen. Er wirkte leicht gedrungen, bewegte sich aber seltsam geschmeidig. Er gab sich nie unterwürfig, sondern stellte sich sofort mit jedem auf Augenhöhe. Er war dabei stets jedem gegenüber respektvoll – solange man ihm genauso begegnete. Gleichzeitig war er kalt und hatte eine distanzierte, arrogante, wenn auch nicht sofort verletzende Art. Ngabes Erzählungen zufolge hatte er sich mit Abudi genauso verhalten. Rebecca lächelte darüber, wie daneben sie mit ihrer Vorstellung gelegen hatte.
Nachdem Kepler mit ihrem Bruder per Videokonferenz gesprochen hatte, war es Zeit, den seltsamen Kauz kennenzulernen. Rebecca ging aus dem Überwachungsraum zur Toilette am Ende des Ganges. Sie machte sich frisch, blickte anschließend in den Spiegel und fand das Ergebnis ihrer Bemühungen befriedigend. Danach ging sie in die Eingangshalle, wo Kepler warten sollte.
Er stand in einem Nebengang in der Tür eines Büros. Etwas an ihm war anders. Die Veränderung war klein, Rebecca hatte lediglich das Gefühl, dass, als sie ihn durch die Überwachungskameras beobachtet hatte, er anders gewirkt hatte. Jetzt nickte er beiläufig, als der Geheimdienstler ihm etwas sagte. Rebecca hatte sich mit diesem Mann unwohl gefühlt. Bei Kepler sah sie nicht einmal die Andeutung einer Spur von Unsicherheit. Sie erinnerte sich an das Gespräch mit Ngabe. Der hatte gesagt, dass Kepler ein wenig prägnanter wurde, wenn er etwas erledigen musste. Es war nur eine geringfügige Änderung, aber man hatte dann keine Lust, seine Anweisungen nicht zu befolgen. Tat man was er wollte, hatte man einen Kommandeur, der wie ein Fels in der Brandung vor einem stand. Tat man es nicht, hatte man einen fürchterlichen Gegner.
Und Mauto hatte gesagt, dass Kepler seit der Rückkehr aus Afrika in Deutschland nicht arbeitete. Jetzt wusste Rebecca, was es war. Kepler hatte wieder eine Aufgabe vor Augen. Er schien sich wieder lebendig zu fühlen.
E r blickte sie offen an, als
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