Freiheit schmeckt wie Traenen und Champagner - Mein wunderbares Leben gegen den Strom
musste fort. Um seiner Frau willen, um ihres gemeinsamen Lebens willen. Es gibt Bäume, die so stark sind und die so viel Wasser und Sonne brauchen, dass unter ihrer Krone nichts anderes wachsen kann.
Die Würfel waren also gefallen. Aber damit nicht genug: Turhan ging wie verwandelt aus dieser schwierigen Phase hervor. Lange hatte er gebraucht, um sich gegenüber seiner Mutter in Stellung zu bringen. Doch nun entwickelte er Kräfte, die nicht nur sein eigenes Leben veränderten, sondern das der gesamten Familie. Seiner neu entdeckten Durchsetzungskraft hatte auch seine Mutter nichts entgegenzusetzen. Selbstsicher nutzte er seine natürliche Autorität als ältester Sohn, und geschickt zog er dabei den Vater auf seine Seite. Dieser liebäugelte ohnehin bereits mit einer mehr repräsentativen Funktion, statt sich bis ins hohe Alter im Tagesgeschäft eines Gutsverwalters abzuarbeiten. Ehe Babanne es sich versah, war ein weitsichtiger Plan gereift.
Wenn der Familienbesitz verpachtet würde, könnte Opa Ali seinen Traum verwirklichen und sich auf eine Rolle als Aufseher der Liegenschaften zurückziehen. Gleichzeitig würde Turhan, der älteste Sohn, von der Verpflichtung entbunden, sein Nachfolger zu werden. Niemand könnte mehr sagen, Turhan habe seine Familie im Stich gelassen! Auch für die Eltern und die jüngeren Geschwister gab es eine Lösung: Sie würden in den Nebensitz der Familie umziehen, ins »Erdhaus« nach Susurluk.
»Dort könnt ihr ohne Sorgen von den Pachteinkünften leben, und dieses kleine Anwesen wird euch im Alter keine Last sein. Außerdem ist dann alles, was ihr braucht, direkt in eurer Nähe.«
Es gelang unserem Vater tatsächlich, den Spieß umzudrehen! Sogar die Argumente, mit denen Babanne ihn zum Dableiben bewegen wollte, hatte er sich zu eigen gemacht.
Und so, wie er es wollte, kam es dann auch. Die Eltern und Geschwister zogen um, und Turhan ging im Alter von 27 Jahren ganz beruhigt und guten Gewissens mit seiner (noch) kleinen Familie nach Deutschland.
In einem Punkt allerdings sollte seine Mutter doch recht behalten: Mein Vater war wirklich nicht dafür geboren, sich hinten anzustellen und noch einmal ganz klein anzufangen. Er war sehr fleißig, und seine Frau stand ihm in nichts nach. Es gelang ihm sogar, in einer deutschen Baufirma bis zum Vorarbeiter aufzusteigen. Was zu jener Zeit bedeutete, dass er auch einheimische Kollegen unter sich hatte. Aber wie viel weiter konnte es ein türkischer Gastarbeiter in Deutschland noch bringen? Eines war klar: Turhans Reputation würde in Deutschland nie auch nur annähernd dieselbe sein wie in der Türkei. Darunter litt Baba beträchtlich, auch wenn sein Stolz es ihm verbot, dies irgendjemandem zu zeigen. Insgeheim aber schämte er sich dafür, doch früher an seine Grenzen gestoßen zu sein, als er es sich bei seinem Aufbruch in die Fremde erträumt hatte. Erkennbar wurde das nur indirekt, wenn er, wie so viele seiner Landsleute, auf Heimaturlaub ganz gern ein wenig den gemachten Mann spielte.
Ein wahrer Segen war der Wegzug aus Babannes Einflusssphäre aber für die Ehe unserer Eltern. Die Unabhängigkeit von der Sippe und die Beständigkeit ihrer Liebe entschädigten die beiden für vieles. Dass Babanne versuchen würde, sich anderweitig an Turhan schadlos zu halten, brachte wiederum meine Schwester und mich ins Spiel. Aber wer wollte darüber richten, wenn Eltern ihre Kinder unbewusst benutzen, um ihr eigenes Leben in Ordnung zu
bringen? Und wenn die Kinder wiederum die Programme, die ihnen selbst eingeschrieben wurden, ihren eigenen Nachkommen als Lebensauftrag mitgeben?
Letztlich geht es immer nur um die Liebe. Und wenn die Liebe nicht frei fließen kann, sucht sich der Strom der Gefühle eben verborgene Wege. Ich glaube, dass Babanne es nicht verwinden konnte, dass ihr Erstgeborener, ihr Liebling, eine andere Frau mehr liebte als sie selbst, seine Mutter. Insofern habe ich als Kind bei meiner Oma auch stellvertretend für meine Mutter gelitten.
Wenn ich nicht gehorchte, schalt mich die Vatermutter immer wieder:
»Du bist ein schlimmes Kind, du bist so stolz und stur wie deine Mutter.«
Baba
V ier Tage vor Ende der deutschen Schulferien wurde für die Heimfahrt gepackt. Vater und Ahmet, der ältere unserer beiden größeren Brüder, zurrten die Koffer und Pakete auf dem Dach des Kleinbusses fest. Mutter verstaute den Proviant für die Fahrt in großen Kühltaschen, und dann stiegen alle acht ins Auto und fuhren davon.
Meine
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