Freiheit schmeckt wie Traenen und Champagner - Mein wunderbares Leben gegen den Strom
einer Geheimschublade. Ich hatte keine Chance gehabt, dort heranzukommen. Einen ganzen Tag und eine Nacht heule ich jetzt in meine Kissen. Aber dann erwacht mein innerer Rebell.
Das wollen wir doch mal sehen, ob mein Vater mir meine Rechte nehmen kann.
Vor dem Gesetz bin ich eine erwachsene Frau. Ich brauche nur zur Polizei zu gehen, um meinen Vater zu zwingen,
das Dokument herauszugeben. Das tue ich denn auch. Für den diensthabenden Beamten auf der nächsten Wache ist alles ganz klar.
»Es ist richtig, dass Sie gekommen sind. Sie haben ein Anrecht auf Ihren Pass. Wir werden dafür sorgen, dass Sie ihn bekommen.«
Die Hüter der Ordnung sind auf meiner Seite! Das macht mich stolz und stärkt mir den Rücken. Ich bin im Recht!
Doch als ich tagelang nichts mehr von der Polizei höre, wird mir zunehmend mulmig zumute. Keiner kann aus seiner Haut heraus, schon gar nicht eine türkische Tochter, wenn es um eine ernste Auseinandersetzung mit dem Vater geht. Doch jetzt ist es weniger die Angst vor ihm. Ich bekomme Gewissensbisse!
»Ich will doch nur zu Dragan«, verteidige ich mich vor meiner Freundin Susi, die mir doch gar keinen Vorwurf gemacht hat. »Und dazu brauche ich nun mal meinen Pass.«
Eine knappe Woche später kommt dann doch ein Polizist ins Frauenhaus und drückt mir meinen Reisepass in die Hand.
»Hier, Fräulein. War nicht ganz einfach, das Ding von Ihrem Vater zu bekommen.«
Mehr sagt er nicht … Einen Moment lang ist mir ganz komisch im Bauch. Er lässt mich den Erhalt des Dokuments mit Unterschrift bestätigen, wünscht mir noch alles Gute, tippt kurz an seine Mütze und ist wieder weg.
Ich halte den Pass in der Hand wie eine heiße Kartoffel. Aber ganz tief in mir, da fühle ich so etwas wie … Sieg.
Doch auch innere Triumphe haben ihr Verfallsdatum. Und wenn man über jemanden obsiegt hat, den man doch eigentlich liebt, kann sich ihre innere Bewertung sogar ins Gegenteil verkehren.
Erst viel später erfuhr ich, was der Polizist, der mir meinen Pass brachte, mit seiner Andeutung gemeint hatte. Da bekam ich dann erst recht ein schlechtes Gewissen gegenüber meinem Baba. Gegen seine verstockte Ehrpusseligkeit aufzubegehren, war das Eine. Etwas ganz anderes, dass ich ihm alles, was er mir im Namen seiner sogenannten Ehre antat, irgendwann auch wieder verzeihen musste. Ja, es tat mir im Nachhinein sogar leid, dass ich meine selbstverständlichen Rechte wahrgenommen hatte.
Kurz nachdem ich in Hannover auf dem Revier war, erhielt mein Vater Besuch von der Darmstädter Polizei. Zwei uniformierte Beamte forderten die Herausgabe meines Passes.
»Nie im Leben!«
So weigert sich ein stolzer Turhan, wenn er etwas »gegen seine Ehre« tun soll.
»Gut, wie Sie wollen. Dann müssen Sie aufs Revier mitkommen.«
Dort brauchten sie dann einen ganzen Tag, um ihn zu überzeugen, dass es besser für ihn wäre, den Pass herauszugeben. Ohne die Hilfe meiner Mutter wäre es ihnen wohl sogar erst noch viel später gelungen. Erzwingungshaft für meinen Vater! Es lag außerhalb meiner Vorstellungskraft, dass so etwas hätte passieren können. Sonst hätte ich es mir schwer überlegt, den Stein überhaupt erst ins Rollen zu bringen.
Mit etwas Geld vom Frauenhaus bestieg ich den Zug nach Jugoslawien. Je länger ich so dahinfuhr, umso schöner wurde das Wetter. Es tat so wohl, die südliche Sonne wieder zu spüren. Von Stunde zu Stunde fühlte ich mich leichter und freier. Dragans Familie bereitete mir einen überaus herzlichen Empfang. Sie wussten, was ich durchgemacht hatte, und waren äußerst liebevoll um mich bemüht. Man las mir jeden Wunsch von den Augen ab. Das waren zwei wundervolle Wochen. Mein Liebling und seine rührend um unser Wohl besorgte Familie, die mich aufnahm wie ihr eigenes Kind! Dazu Sonne und Meer - was konnte es Schöneres geben?
Und doch schlich sich mitten im Urlaubsglück etwas zwischen uns, das mich beunruhigte: Dragans Eifersucht! Dass wir in Deutschland nun an verschiedenen Orten lebten, war ihm ganz und gar nicht recht.
»Komm wieder zurück nach Darmstadt«, bettelte er immer wieder.
»Wie soll ich das denn machen?«, wand ich mich.
Dieses Thema breitete mir Unbehagen. Verständlicherweise, wie ich fand.
»Mein Vater wird mich sofort bei dir aufspüren. Und dann ist was los!«
Ja, ich traute ihm in dieser Zeit alles zu. Und vor allem schob ich ihm die ganze Verantwortung für meine Situation in die Schuhe. Ich entmachtete mich selbst, indem ich meinem Vater konsequent
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