Freiheit schmeckt wie Traenen und Champagner - Mein wunderbares Leben gegen den Strom
Genick.
Jetzt nur keinen Widerstand leisten. Blind vor Angst traue ich ihm jetzt wirklich alles zu. Und mache es ihm noch leicht. Kleinlaut verlasse ich meinen Arbeitsplatz, ohne ein Wort der Erklärung zu meinen Kollegen, ohne im Personalbüro Bescheid zu geben, geschweige denn im Frauenhaus anzurufen. Eskortiert von drei Männern. Kein Gedanke daran, irgendetwas mitzunehmen außer meiner Handtasche.
Kurda kuzu emanet etmek - das Lamm begibt sich in die Obhut des Wolfes.
Zu viert besteigen wir den alten Mercedesbus. Bleiernes Schweigen. Kein einziges Wort auf der mehrstündigen Fahrt von Hannover nach Darmstadt. Mein Vater am Steuer, vorn neben ihm mein Bruder, hinten ich und Dragan.
Ihn würdige ich keines Blickes. Von einem Moment auf den anderen sind wir uns vollkommen fremd geworden.
Und jetzt? Was haben sie nur vor mit mir? Wilde Fantasien gehen mir durch den Kopf. Wollen sie mich umbringen? Zusammenschlagen und aus dem Auto werfen? Oder einsperren in ein finsteres Verlies, das sie für mich vorbereitet haben? Als sicher erscheint nur eines: Fünf Monate Freiheit sind jählings vorbei.
Wir sind angekommen. Mutter, wie immer in der Küche, sitzt mit verschränkten Armen da. Kein Wort der Begrüßung, nichts als stumme Blicke. Dragan ist mit reingekommen, er rechnet sich jetzt wohl etwas aus. Aber da hat er sich verkalkuliert. Er war nur Mittel zum Zweck. Vater erklärt ihm kurz und bündig:
»Lass uns jetzt bitte allein. Du hörst von uns.«
Mein Exlover wirft mir noch einen schiefen Blick zu. Ich wende mich ab. Er verlässt die Wohnung. Wir haben uns nie wiedergesehen.
Da bin ich nun, wieder im Zimmer der Schwestern. Wieder zwischen Baum und Borke. Weiß nicht, wie mir geschieht und was mich erwartet. Wortlos umarme ich Hatice und Cavidan. Ich frage mich, auf welcher Seite sie stehen. Immerhin, sie nehmen Anteil und sprechen warmherzig mit mir. Ich verkrieche mich schnell ins Bett.
Unterdessen wird im Wohnzimmer über mein Schicksal verhandelt. Naime, die Zweitälteste, mit der ich nie besonders engen Kontakt hatte, verwendet sich für mich. Sie bespricht mit dem Vater, wie es mit mir, der Sünderin, weitergehen soll. Sollte es doch ein weibliches Wesen in der
Familie geben, das dem Vater standhält? Das mich, das schwarze Schaf, noch aus der Schusslinie nehmen kann? Sie bietet Vater an, mich bei sich aufzunehmen.
»Damit es nicht noch weiter eskaliert zwischen dir und ihr. So habt ihr Zeit, eine gute Lösung zu finden.«
Und wirklich, zu meiner großen Überraschung ist Vater damit einverstanden. Ich darf noch am selben Abend ein paar Sachen zusammenpacken und mit zu meiner großen Schwester fahren.
Dort schlafe ich im Gästezimmer, passe tagsüber auf meinen Neffen auf und fühle mich wenigstens von einer einzigen Person in der Familie akzeptiert. Mit den Eltern und den anderen Geschwistern habe ich zunächst keinerlei Kontakt.
Zurück im Gefängnis. Ich weiß weder, wer ich bin, noch was ich will, noch was aus mir werden soll. Mein Lebenswille ist wie ausgelöscht. Morgens blicke ich apathisch in den Spiegel: ein Gesicht wie das blühende Leben - aber diese traurigen Augen! Wer ist die junge Frau, die mir mit stumpfem Blick entgegenschaut? Ich bin mir selbst fremd geworden. Funktioniere nur noch wie ein Roboter. Erledige mechanisch meine Pflichten im Haushalt. Räume Geschirr in die Spülmaschine, hänge die Wäsche auf, spiele mit dem Jungen und warte. Warte, warte, warte … Worauf? Ich weiß es nicht.
Iǧne üstünde oturmak - auf einer Nadel sitzen und spüren, dass ein großes Gewitter aufzieht.
Etwas war mit mir passiert. Ich spürte mich nicht mehr. Es beunruhigte mich zutiefst. Und ich hatte keine Ahnung, wie mein Leben weitergehen könnte.
Naime ging ausgesprochen sanft und einfühlsam mit mir um, aber ich verschloss mich. Mit einem Thema allerdings gelang es ihr, mich sofort aus der Reserve zu locken.
»Willst du Dragan heiraten?«
Die Frage musste ja kommen!
»Diesen Verräter? Auf gar keinen Fall! Ich will ihn nie wiedersehen!«
Irgendwie verdrängte ich den Gedanken daran, dass Naime mit Vater über mich sprechen würde. Wie aber hätte es anders sein können? Ohne dass sie ihn über mich auf dem Laufenden hielt und ein wenig Seelenmassage bei mir betrieb, wäre er niemals damit einverstanden gewesen, dass sie mich zu sich nimmt. Es war eigentlich ganz gut, dass ich keinen Gedanken daran verschwendete. Denn sonst hätte ich auch mit ihr die Kommunikation
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