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Freiheit schmeckt wie Traenen und Champagner - Mein wunderbares Leben gegen den Strom

Titel: Freiheit schmeckt wie Traenen und Champagner - Mein wunderbares Leben gegen den Strom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ayse Auth
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Oder bin ich übertrieben misstrauisch?
     
     
    »Auf nach Istanbul!«
    Frühmorgens steht er in der Tür und wedelt mit zwei Flugtickets. So locker habe ich meinen Vater seit Jahren nicht erlebt. Richtig aufgekratzt ist er. Aber das Gesicht ernst und angespannt. Er wirkt kalt.
    Wie in Hannover. Der Wolf im Schafspelz.
    Und wieder bin ich unfähig zur Gegenwehr. Fühle mich, als ob ich deportiert werden soll.
    »Hast du deinen Pass dabei?«
    Seine Stimme klingt plötzlich heiser.
    »Ja, warum?«
    »Gib ihn mir.«
    Ich funktioniere bereits wie auf Autopilot.
    »Hier.«

    Er verzieht keine Miene und steckt das Dokument wortlos ein. Dann die nächste Parallele, fast ein Déjà-vu: Viele Stunden lang fällt kein einziges Wort zwischen uns. Nicht im Zubringerbus zum Flughafen, nicht in der Warteschlange der Abfertigungshalle, nicht im Flugzeug. Ein einziges massives, eisiges Schweigen.
    Mit finsterem Gesicht schaut Vater während des Fluges nur auf die Rückenlehne seines Vordermannes. Hin und wieder entfährt seinem Mund ein Geräusch, irgendwo zwischen Seufzen und Grollen angesiedelt, das ich so noch nie bei ihm gehört habe. Wie elektrisch geladen ist die Atmosphäre zwischen uns. Es überträgt sich immer mehr auf mich. Angstgedanken wie seinerzeit auf der Fahrt von Hannover nach Darmstadt ergreifen von mir Besitz. Was ist dieser Mann noch bereit, mir im Namen seiner Ehre anzutun?
    Im Bus von Istanbul nach Susurluk. Mein Gebieter liest Zeitung. Ich schaue mit klammen Gefühlen aus dem Fenster. Eine große Leere ist in mir.
    Susurluk, am Garaj . Als ich vor drei Jahren von hier wegfuhr, hatte ich mir geschworen, diesen Flecken Erde nie wieder zu betreten. Aber mein selbstbestimmter Wille - Schnee von gestern! Wir steigen aus, und es kommt mir so vor, als sei ich erst gestern hier losgefahren. Es ist frühlingshaft warm, der Duft von Mimosen hängt in der Luft. Die knatternden Mofas, die lärmenden Dolmuş , die Männer im Kahwe . Alles wie immer, scheinbar hat sich nichts verändert.
    Aber ich, ich bin nicht mehr dieselbe. Habe alles drangesetzt, mich zu befreien. Habe nach Meinung meiner Familie dadurch nur Schimpf und Schande über sie gebracht.
Wie blauäugig war ich, als ich um jeden Preis von hier weg wollte!
    Unser Haus. Es steht immer noch so windschief da wie früher, vielleicht noch ein bisschen schiefer. Der Lehm am Untergeschoss hat Risse bekommen. Was mag Babanne wohl für eine Krankheit haben? Vielleicht Krebs? Wir schreiben das Jahr 1985, sie ist immerhin schon Mitte 80 …
    Da geht die Tür auf, und sie steht vor uns. Babanne, siech und krank?
    »Turp gibi - gesund wie ein Rettich! «, entfährt es mir bei ihrem Anblick, bevor ich sie begrüßen kann.
    Putzmunter und ganz die Alte, so steht sie vor mir. Was hat das zu bedeuten? Plötzlich klopft mir das Herz bis zum Hals. Ich bin total verwirrt.
    Babanne ignoriert meinen Ausruf, würdigt mich kaum eines Blickes. Eigentlich wie früher. Setzt ihre undurchdringlichste Miene auf und nimmt schließlich kühl meinen Gruß entgegen. Mit ihrem Lieblingssohn dagegen werden innigste Begrüßungsküsse ausgetauscht. Alles beim Alten in unserer schrecklich netten Familie!
    In diesem Augenblick geht mir ein ganzer Kronleuchter auf. Natürlich haben die beiden sich hinter meinem Rücken abgesprochen. Und hier stehe ich, als ihr wehrloses Opfer. Die Frage ist nur noch: Wo ist die Schlachtbank, zu der ich geführt werden soll?
    Im Haus scheint sich rein gar nichts verändert zu haben. Hier steht tatsächlich noch jede Tasse am selben Platz wie vor Jahren schon. Aber eine andere Stimmung ist eingezogen. Trostlosigkeit, Einsamkeit. Und eine Luft wie in einer Gruft. Ja, öffnet denn hier niemand mehr ein Fenster?

    Es wird nicht viel gesprochen an diesem Abend. Warum auch? Für die beiden Komplizen dort drüben scheint eh alles klar, und ich werde schon sehen, was mit mir passiert. Wir gehen früh schlafen. Oben der Privilegierte in der schönen deutschen Damastbettwäsche, unten die Herrscherin und ich, die untertänige Sünderin. Sie auf ihrer ausladenden Schlafstatt mit dem gusseisern verzierten Kopfteil, ich auf meiner schmalen Polsterliege mit den Schubladen. Unter meinem alten Fenster.
    O Allah, wie weit bin ich von der Erfüllung meiner Träume entfernt! Habe ich überhaupt noch welche? Habe ich mich überhaupt noch?
    Ein ganzer Schwarm unkontrollierter Gedanken und Gefühle umschwirrt den Brennpunkt meines Inneren, die Angst.
    Was wird mit mir geschehen? Was

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