Freiheit statt Kapitalismus
privatwirtschaftlichen Logik. Diese verlangt vielmehr, die großen Brieftaschen zu begünstigen, nicht die kleinen. So besteht die typische Kostenstruktur bei privaten Anbietern in der Regel in hohen Anschluss- und Grundgebühren und niedrigen laufenden Kosten. Großkunden werden oft zusätzlich durch Mengenrabatte angelockt.
Solche Angebote sind für den Kleinverbraucher teuer, während Großverdiener oder Industriekunden von der Liberalisierung tatsächlich profitieren können. Dies gilt selbst auf dem wettbewerbsarmen Energiemarkt, zumindest in Ländern, wo die Gebietsmonopole der einzelnen Anbieter weniger abgegrenzt sind als in Deutschland. Auch im Bereich Telekom ist die Preisersparnis eines Vieltelefonierers oder eines Unternehmens, das viele Auslandsgespräche führt, im Vergleich zu früheren Zeiten ungleich größer als die eines Rentnerehepaars, das in erster Linie Tochter und Enkel in der gleichen Stadt anrufen möchte. Ob Letztere heute überhaupt weniger zahlen als zu Zeiten, da die Festnetztelefonie noch unter Verantwortung der Deutschen Bundespost stand, kann bezweifelt werden. Immerhin sind die Grundgebühren heute wesentlich höher als damals, und von drastisch gesunkenen Preisen für Auslandsgespräche oder Flatrate-Angeboten profitiert eben nur der, der sie auch nutzt.
Dienstleistungen à la carte
Ernst Ulrich von Weizsäcker vermerkt in den
Grenzen der Privatisierung:
»Bei den sozialen Dienstleistungen führt ein größerer Anteil privaterAnbieter zu Dienstleistungen à la carte. Es besteht für die privaten Anbieter ein großer Anreiz, sich vor allem um die Kunden zu kümmern, die Marktpreise zahlen.« 155 Die Schwächeren werden dann entweder vom staatlichen System aufgefangen oder sie zahlen deutlich mehr als früher.
Eine wichtige Grundlage der Rentabilität privater Anbieter ist generell, sich aus der Gesamtpalette der zu erbringenden Versorgungsleistungen genau die herauszusuchen, die sich als besonders gewinnträchtig darbieten, und die übrigen der öffentlichen Hand zu überlassen. So ist von privaten Krankenhauskonzernen bekannt, dass sie selektiv solche Krankenhäuser aufgekauft haben, die auf »ertragreiche« Krankheitsarten spezialisiert sind oder in strategisch günstiger Lage liegen, also in großen Städten und nicht etwa im ländlicheren Raum. Und natürlich werden in solchen Krankenhäusern bevorzugt auch die »ertragreicheren Kranken« behandelt, also diejenigen mit gut zahlenden Privatversicherungen.
Auch für Letztere gilt: Dass sie billigere Tarife für Gutverdiener anbieten können als die gesetzlichen Kassen, ist durchaus nicht Ausdruck eines überlegenen Geschäftsmodells. Es ist schlicht Ergebnis gezielter Selektion. Denn in der gesetzlichen Krankenkasse zahlt der Normalverdiener schon deshalb mehr, weil er für den zum Minitarif mitversicherten Geringverdiener, den Arbeitslosen und deren Frauen und Kinder mitbezahlt. Darüber hinaus sucht die private Kasse sich ihre Klientel sorgfältig aus: Wer schon einmal an einer schwerwiegenden Krankheit gelitten hat oder sonst ein hohes Risiko verkörpert, wird nicht genommen beziehungsweise nur zu teuren Tarifen. Der sogenannte Basistarif, den die private Krankenversicherung seit 2009 von Gesetz wegen anbieten muss, ist für viele Einkommensgruppen teurer als die gesetzliche Kasse und bietet Leistungen gerade auf deren Niveau.
Eine ähnliche Rosinenpickerei durch die privaten Anbieter findet auch in anderen Bereichen statt. Während die Deutsche Post noch heute einer sogenannten »Universaldienstverpflichtung« unterliegt, also auch Briefe für 55 Cent in oberbayrische Zehn-Seelen-Gemeinden transportieren muss, tummeln sich die Wettbewerber auf den lukrativen Märkten wie dem für Massensendungen oder Pakete. Auf das Vorhaben derRegierung, der Post das Umsatzsteuerprivileg zu nehmen, das sie zur Zeit noch genießt, hat Postchef Appel denn auch umgehend mit der Drohung reagiert, Leistungen aus der Universaldienstverpflichtung nicht länger anzubieten. Bei der Bahn, bei der es eine gesetzliche Universaldienstverpflichtung nicht gibt, hat mit der neuen Renditeorientierung konsequenterweise das große Streckensterben begonnen. Was sich nicht rechnet, wird stillgelegt. Etwa 5000 Kilometer Bahnstrecke sind diesem Prinzip bereits zum Opfer gefallen. Im Falle einer tatsächlichen Privatisierung sind nach einem aktuellen Gutachten der Länder weitere 6000 bis 10 000 Netzkilometer stilllegungsgefährdet. Alle Stationen mit
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