Freitags Tod
Pflegedienstleiterin sprang auf.
»Jetzt reicht es aber! Was bilden Sie sich ein? Gehen Sie! Ich habe wirklich genug am Hals, seit …«
Julia erhob sich ebenfalls und stützte sich auf den Tisch. »Möglicherweise mochten Sie Herrn Freitag nicht sehr. Er soll ja nicht gerade vor Charme gesprüht haben. Aber in Ihrem Haus ist ein Mord geschehen. Um den aufzuklären, bin ich hier. Und Sie werden mir jetzt Auskunft geben oder Sie werden es auf dem Präsidium tun. Dann wird Ihre Arbeit sicher etwas länger warten müssen.«
Die Rothaarige presste die Lippen aufeinander und blähte die Nasenflügel. Dann setzte sie sich wieder und Julia auch. Mit gesenktem Kopf schob sie Ordner hin und her, steckte einen Kugelschreiber in einen Becher, sammelte Büroklammern ein.
»Also, was wollen Sie von dem wissen, was ich sowieso nicht weiß?«
Na, endlich, dachte Julia.
»Was war Herr Freitag für ein Mensch?«
»Ganz normal war er. Er kam morgens zur Arbeit und ging abends wieder nach Hause.«
»Gab es Konflikte mit Mitarbeitern oder Bewohnern, vielleicht auch mit Angehörigen?«
»Sicher. Immer mal wieder. Nichts Besonderes.« Monika Heinrichs Hände spielten unruhig mit einem Kugelschreiber, bis er hinunterfiel. Sie bückte sich, und Julia warf einen Blick auf einen Ordner auf dem in gedrungener, akkurater Handschrift »Stationstagebuch« stand. Gerne hätte sie sich den Inhalt näher angeschaut.
»Ganz normal also? Zwischen dem Toten und Herrn Eck hat eine harmonische Beziehung bestanden. Das Personal war zufrieden, und die Bewohner und Angehörigen erfreuten sich an der liebevollen Zuwendung.«
»In einer Einrichtung wie unserer gibt es natürlich Konflikte«, räumte Monika Heinrich ein.
»Die da wären?«
»Manchmal schmeckt das Essen nicht, ein andermal beklagt sich eine Tochter darüber, dass ihre Mutter eine Strumpfhose nicht findet. Das Personal streitet schon mal über Urlaubswünsche. Und ja, Herr Eck und Herr Freitag verstanden sich gut. Wollen Sie noch etwas wissen?«
»Ganz sicher. Aber im Moment reicht es. Vielen Dank, Frau Heinrich. Sie haben mir sehr geholfen.« Julia stand auf und lächelte die Frau an. Das Telefon klingelte wieder, die Pflegedienstleiterin legte die Hand auf den Hörer, schien aber auf die Zustimmung von Julia zu warten, um das Gespräch anzunehmen.
Plötzlich fiel Julia noch etwas ein. »Was sagen Sie dazu, dass Ihre Mitarbeiterinnen in der Regel kaum länger als ein Vierteljahr bei Ihnen arbeiten?«
Das Telefon klingelte weiter, ohne dass die Rothaarige abhob. Dann hörte es auf.
»Wer hat Ihnen das gesagt?«
»Ist das ein Geheimnis?«
Monika Heinrich schüttelte den Kopf. »Es ist nicht meine Aufgabe, Herrn Freitags und Herrn Ecks Personalpolitik zu kritisieren.«
»Aber Sie haben doch sicher eine Meinung dazu. Immerhin müssen immer wieder neue Mitarbeiterinnen eingearbeitet werden. Das ist bestimmt nicht einfach.«
»Ich tue hier meine Arbeit. Die Einarbeitung der Kolleginnen gehört eben dazu.« Energisch nahm sie den Hörer vom Telefon und wählte. »Wenn Sie mich jetzt entschuldigen wollen?«
Wütend stapfte Julia den Flur entlang, als sie hinter sich eine bekannte Stimme hörte.
»Wie immer in Eile, was?« August Ostendarp wackelte mit seinem Gehwägelchen hinter ihr her. Julia blieb stehen und wartete, bis der alte Mann bei ihr war.
»Na, was sagt die von uns allen verehrte Frau Pflegedienstleiterin?«
»Genauso viel wie Bulldoggengesicht. Alles in Butter im Haus.«
Ostendarp lachte. »Oh, Sie haben Schwester Waltraud gesprochen.«
»Wie sie heißt, weiß ich nicht, aber dass sie angeblich in Urlaub war – und mich einfach stehen lassen hat. Sie ist Krankenschwester?« Julia ging langsam neben Ostendarp her.
»War sie. Bis man sie wegen ihres Alkoholkonsums entließ.«
»Was Sie alles wissen …«
Die Narbe an seiner Lippe zerschnitt das spitzbübische Lächeln Ostendarps in zwei Teile.
»Und ich weiß noch mehr, wie ich Ihnen sagte. Wenn Sie einen Moment Zeit haben, kann ich Ihnen die Kopien meiner Recherchen geben.«
Wenigstens etwas, dachte Julia. So musste sie nicht völlig unverrichteter Dinge nach Hause gehen. In Gedanken strich sie »nach Hause« und fügte »zur Dienststelle« ein.
»Wir nehmen den Fahrstuhl«, sagte Ostendarp und wies zum Ende des Ganges. Als sie an der Tür von Freitags Büro vorbeikamen, fühlte Julia Übelkeit aufsteigen. Auch Kripobeamte sahen so schlimm zugerichtete Leichen nicht jeden Tag. Und Julia war immer
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