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Freitags Tod

Freitags Tod

Titel: Freitags Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Kuhlmeyer
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etwas ausführlicher sein?«
    »Möchten Sie nicht noch ein paar Fragen stellen?« Dr. Weiss legte den Kopf schief und lächelte wieder. Eigentlich nett. Wenn sie Julias Nachbarin wäre, hätte sie dieser liebenswürdigen Erscheinung ohne zu zögern ihren Hund anvertraut.
    »Er ist also in die Garage gegangen?«
    »Ja.«
    »Und wo war er vorher?«
    »Im Haus.«
    »Mit wem?«
    »Mit mir.
    »Was haben Sie getan?«
    »Ich habe gekocht. Nierenragout mit Reis.«
    »Und was hat Ihr Mann getan?« Musste sie sich jeden Satz abringen lassen?
    »Er hat gearbeitet, wie immer.«
    »Was tat er genau?«
    »Er saß am Schreibtisch und schrieb an seinem Buch.«
    »Er war Schriftsteller?« Davon wusste Julia bisher nichts.
    Dr. Weiss lachte. Die Haut in ihrem Gesicht faltete sich fröhlich, und ihr Busen hüpfte auf und ab. »Nein.« Sie wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel. »Nein, bestimmt nicht. Er arbeitete an einer Abhandlung über die linguistischen Besonderheiten bei neurotischen Erkrankungen im Vergleich zu formalen Denkstörungen bei Psychosen.«
    »Ah.«
    »Ja.«
    »Und während er so dasitzt und über die Denkstörungen nachdenkt, haben Sie gesagt: Komm, Schatz, wir gehen in die Garage, und ich erschieße dich ein bisschen?«
    »Nein.«
    »Was dann?«
    »Ich habe ihn gefragt: Traust du mir eigentlich einen Mord zu, Richard?«
    Julia schwieg. Die andere auch. Dann wurde Julia ungeduldig.
    »Ja, und? Was hat er dazu gesagt?«
    »Süß-sauer, wie immer.«
    »Süß-sauer, wie immer? Was ist denn das für eine Antwort?«
    »Eine typische.«
    »Wie meinen Sie das?«
    »Er hörte mir nicht zu, schon lange nicht mehr.« Dr. Weiss sah aus dem Fenster. Aber ihr Blick reichte nur bis zu den Eisblumen, die daran rankten.
    »Er kam aus der Uni nach Hause, setzte sich an den Schreibtisch und arbeitete, bis es Schlafenszeit war. Wir gingen nicht aus, wir hatten keine Freunde und wenn ich sagte: Richard, das ist kein Leben. Mir geht es nicht gut, sagte er: Rede mit deinem Psychiater. Als ob ich keinen im Haus gehabt hätte.« Nach einer Pause fuhr sie fort. »Wenn ich ihm von mir erzählte, sagte er nichts. Wenn ich ihm meine Gedichte vorlas …«
    »Sie schreiben Gedichte?«
    Dr. Weiss nickte. »Seit ich den Leuten in die Köpfe schaue. Wenn ich ihn anschrie, schloss er sich samt Laptop im Keller ein.«
    Es klopfte. Ein Beamter mit zwei Kaffeebechern trat ein und stellte sie auf dem Schreibtisch ab. Dr. Weiss nahm einen und wärmte ihre Hände daran.
    »Früher war das anders. Wir haben diskutiert und gestritten. Über meine Fälle, über seine Arbeiten und über das Leben. Ich liebte seinen klaren Verstand.« Sie sagte das gleichmütig, ohne Zorn und ohne Wehmut.
    Julia empfand etwas wie Mitgefühl für die Frau. Dann schüttelte sie es ab und nahm einen Schluck Kaffee. »Ihre Beziehung ist in die Jahre gekommen. Sie hatten nicht mehr viele Gemeinsamkeiten. Gut. Aber deshalb bringt man doch keinen Menschen um. Man kann sich scheiden lassen.«
    »Daran habe ich oft gedacht. Immer, wenn ich erschöpft aus der Klinik kam und die Kälte im Haus spürte. Aber bevor ich den Gedanken zu Ende denken konnte, verwickelte er mich in eine Diskussion über Musik, über Bücher oder die neusten Ergebnisse der Hirnforschung.«
    Hatte sie nicht gerade noch gesagt, sie hätten nicht mehr miteinander gesprochen? Julia konnte nicht nachhaken, jetzt ließ sich die Frau nicht mehr bremsen.
    »Das war wunderbar.« Die Frau schien plötzlich schöner geworden; sie strahlte, von innen. »Ich bin nie dahintergekommen, woran er merkte, dass ich meine Sachen packen wollte. Aber er schaffte es immer, mich zu beschwichtigen. Doch dann kam der nächste Tag und der übernächste, stumm und frostig wie die davor.« Sie pustete auf ihren Kaffee. »Richard war im Grunde kein schlechter Mensch. Er war nur irgendwie …«, sie suchte nach einem Wort, »… falsch zusammengesetzt.«
    »Was meinen Sie damit, Dr. Weiss.«
    Julia erhielt einen Blick, weich und warm wie die Wolljacke ihrer Großmutter. »Er hatte einen brillanten Kopf und ein eisiges Herz.«
    »Deshalb haben sie ihn umgebracht.«
    »Nein. So kann man das nicht sagen.«
    Das Telefon klingelte. Julia nahm ab. »Ja?« Sie hörte eine Weile zu, sagte »Kühltruhe?« und legte auf. Julia kam es vor, als sei es noch kühler geworden im Raum, aber diese unscheinbare Person lächelte ihr warmes Lächeln. Sie musste sich zusammennehmen.
    »Ihre Waffe ist gefunden worden. Woher hatten Sie die?«
    »Ich habe

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