Freitags wird gebadet, aus dem Tagebuch eines Minderjaehrigen
schreckte auf und sagte: „Richard!“
Sie hatte von Papa geträumt, was ich durchaus verstehen konnte.
Und plötzlich stand sie hinter der Gardine, starrte auf das Erntefest-Begräbnis und murmelte: „Das ist doch nicht möglich.“
Die Männer auf der Straße waren da ganz anderer Meinung. Sie hielten genau vor unserem Gartentor und hoben den halben Sarg herunter. Dann postierten sie sich zu beiden Seiten und begannen das Lied zu singen:
Weißt du, wieviel Sternlein blühten auf dem Flaschenetikett...
„Unglaublich!“ sagte Mama, riß den Bademantel vom Kleiderhaken und stürmte aus der Schlafstube.
Draußen sangen, sie weiter. Zuweilen klang es sogar schön. Jeder dirigierte sich selber - mit einer Flasche. Im Nachbarhaus öffneten sie ein Fenster, und der Mann sagte lachend: „Die Brüder haben wieder mal Probeliegen gespielt und dem Bachtischler einen Sarg geklaut.“ Daß Probeliegen ein uralter Brauch in unserem
Dorf ist, hatte ich schon einmal gehört. Deshalb heißt unser Ort auch Särgelhausen.
Inzwischen hatte meine Mama die Stätte der Fröhlichkeit erreicht und wühlte meinen Vater aus den Blumen. Papa wehrte sich, strampelte mit den Beinen, fuchtelte mit den Armen. Das macht er oft so, wenn er geweckt wird. Mama schaffte es jedenfalls nicht; denn er legte sich friedlich auf die andere Seite und wollte gemütlich weiterschlafen. Da packten ihn die Männer und zerrten ihn hoch. Es war ein köstlicher Anblick, wie Papa aufrecht im Sarge stand und sich zu orientieren versuchte, es war einmalig und grandios; ich hatte bisher noch niemanden seinen Sarg wieder verlassen sehen.
Zunächst lehnte Papa jegliche Hilfe ab, was sich als etwas voreilig erwies, als er die Haustür anpeilte und meiner Mama in die Armei fiel. „Liiiesel.“
„Ruhe!“ zischte Mama.
„Liiiesel!“ So zärtlich hatte ich Papa das noch nie sagen hören.
Auf der Straße rollte der Rollwagen mit dem leeren Sarg davon.
Im Flur schimpfte Mama leise: „Jedes Jahr zum Erntefest dieses Prämiengesaufe. Daß du dich nicht schämst, Richard!“
Papa stammelte andauernd etwas von Sargdeckel und so. Immer wieder sagte er: „Sarg - deckel - und - weg.“
„Was ist mit dem albernen Sargdeckel?“
„Einfach weg - weg ist der - der muß gerettet werden“, holperte Papa.
Es dauerte geraume Zeit, bis Mama herausbekommen hatte, daß andere mit dem Sargdeckel auf dem Dorfbach Kahn fuhren.
„Schäm dich vor dem Jungen, Richard!“
Damit sich Papa nicht vor mir zu schämen brauchte, kroch ich bei seinem schwankenden Eintritt unter die Zudecke und stellte mich brav schlafend. Mama wußte freilich Bescheid.
Doch für Papa hatte das zur Folge, daß er meiner Mutter im Bett zu erklären versuchte, wie es zu dem ungewöhnlichen Transport gekommen wäre. „Wir - haben Probeliegen - gespielt - wer Probe liegt, wird hundert Jahre alt und .. .“
„Das ist ja nun bekannt, morgen weiß es das ganze Dorf, Richard“, antwortete Mama gereizt.
„Nicht bekannt ist“, stotterte Papa, „daß ich im Sarg eingeschlafen sein muß - beim Proprobeliegen.“
„Und jetzt bist du still, sonst weckst du noch den Jungen!“
Papa schwieg und schlief auch sehr bald ein. Ich freute mich, daß meine Anwesenheit so erzieherisch auf ihn wirkte.
Als wir mittags am Tisch saßen und Papa noch immer etwas angeschlagen wirkte, tat jeder von uns so, als habe es den gestrigen Tag und die Nacht nicht gegeben. Ich fand das prima; denn auch Schweigen kann lehrreich sein.
10
Ich machte Schularbeiten.
Mama war im DFD, Papa las in der Zeitung. Wenn er oft mit der Zeitung raschelt, ist sie uninteressant, wenn es eine längere Zeit still ist, hat er sich festgelesen. In solch einem Augenblick fragte ich ihn, ob Wiesen, auf denen das Wasser stockt, verkommen.
„Natürlich“, antwortete er, ohne aufzusehen, „die sind erledigt, wenn nichts geändert wird.“
Ich schrieb.
Er las weiter.
„Und wenn die Kühe Dreckkrusten haben, was geschieht dann?“
Papa lächelte. „Das gibt mindestens schlechtes Leder.“
In unserem Guckofen knackerte das Brennholz. Der Feuerschein leuchtete zwischen den Ritzen der Eisenplatten.
Sofort fiel mir wieder etwas ein. „In der Scheune ist doch Rauchen verboten, Papa?“
„Frage nicht so albern, Heinz. Das weiß jedes kleine Kind, und übrigens hängen an jeder Scheune Schilder.“ Ich bestätigte das und dachte: Wenn man um eine Sache bereits weiß, kann man trotzdem danach fragen. Ich habe da jedenfalls so meine
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