Freitags wird gebadet, aus dem Tagebuch eines Minderjaehrigen
„Gut, ich mach mit, aber unter einer Bedingung: Wir knallen eine Flasche Fruchtwein ab.“
„Das ist völlig klar, Boys“, sagte Hufeisen, „Scheibenschießen ist ohnehin langweilig.“
Und Kulak bemerkte, daß Papierblumen für ihn auch nicht in Frage kämen, weil sein Vater den großen Garten habe und für seine echten Blumen schon mit Medaillen ausgezeichnet worden sei. „Der kriegt jedesmal einen Tobsuchtsanfall, wenn ich mit den Papierblüten nach Hause komme.“
An meiner Antwort war ihnen nicht viel gelegen. Ich hatte die Schießerei schließlich vorgeschlagen, bedingungslos, obwohl ich natürlich wußte, daß meinem Papa Papierscheiben und Papierblümchen lieber gewesen wären als jener Zustand, dem ich mich jetzt Schuß für Schuß näherte.
Also knallten wir auf die Gipsröhrchen über dem Flaschenhals.
„Auf die Flasche zu schießen ist zwecklos“, sagte die Schießstandbesitzerin, „sie ist nämlich leer.“
Nachdem wir fünf Mark zusammen verschossen hatten, wurde die Gewehrdame freundlicher zu uns und sagte: „Nun habt ihrs ja gleich geschafft.“
Wir betrachteten den restlichen Gips und schätzten ihn auf etwa drei bis vier Mark, wenn wir weiterhin so gut zielten.
Hinter uns spottete ein Jüngling: „Ihr seid schön blöd. Die Flasche kostet im Laden nur zwei Mark fünfundsiebzig.“ Darauf erklärte ein älterer Herr, daß Schießen ein Sport sei und es uns doch nicht auf die Flasche Fruchtwein ankomme.
Bei acht Mark sechzig wurden wir Sieger.
Die Dame überreichte uns eine Flasche und machte ein Gesicht, als hätten wir einen neuen Rekord aufgestellt. „Die Olle hat nich mal Gewissensbisse“, meinte Thekenwilli, als wir in die nahe gelegene Sandgrube schlichen. „Meinem Papa würden sie bei solch einem Überpreis die Kneipe zumachen.“
„Vergiß es“, meinte Kulak.
„Vergiß es“, meinte auch Hufeisen.
Vergiß es — ist zur Zeit unsere schönste Antwort. Thekenwilli entkorkte die Flasche, wie er es gelernt hatte. Dabei schaute er in den Himmel und prophezeite: „Sonne ist mies bei so was. Hoffentlich kippt ihr mir nachher nicht vor lauter Freude um - bei der Hitze. Boys.“
Um zu beweisen, daß das, was er konnte, auch wir vertrugen, nahmen wir einen Schluck mehr als Thekenwilli. Nachdem wir die Flasche geleert hatten, riet er uns, sofort eine Fischsemmel zu essen, und fügte hinzu, er habe das ja nicht nötig, aber für uns Anfänger sei das sehr empfehlenswert.
Das lehnten wir ab, weil wir keine Anfänger sein wollten. Wir behaupteten, schon öfter Fruchtwein getrunken zu haben.
Als wir auf den Rummel zurückkehrten, spielte die Rübenkombine-Combo bereits zum Tanz.
Mir kam allmählich alles viel lauter vor. Kapelle, Luftschaukel- und Karussellgeschrei schwollen zu einem einzigen Chore an. In mir war Jubel und Kichern, und mit einemmal mußte ich lachen, schrecklich laut lachen. Ich wußte nicht warum, aber mir schien jetzt alles so einfach und lächerlich, daß ich nur noch lachen konnte.
„So fängts an“, stellte Thekenwilli fest und versuchte, uns auseinanderzusetzen, daß es zwei Arten von Betrunkenen gebe. „Die einen lachen dauernd und sind in der Regel harmlos“, erklärte er, „die anderen reden, brüllen und hauen alles gleich kaputt.“
Das Wörtchen harmlos machte mich noch unbeschwerter. Kulak schien der anderen Sorte anzugehören. Er schlug vor, hinter die Eisbude zu gehen und von dort aus mit dem Katapult die Notenblätter der Rübenkombine-Combo zu durchlöchern.
„Nu hört bloß mit dem Quatsch auf“, schimpfte Thekenwilli, „und seht, daß ihr nach Hause kommt, sonst kriegen wir noch Theater mit den Lehrern.“
Diesmal hörten wir auf ihn.
Ich mußte sofort wieder lachen, weil ich mir das Gesicht meines Vaters vorzustellen versuchte, was er bei meiner Heimkehr machen würde. Und sonderbar: in dem Schießbuden-Fruchtwein steckte eine Macht, die mich geradezu unbekümmert furchtlos werden ließ und dazu verleitete, einen Vater zu sehen, der so lustig wie der Sohn war.
Ich machte mich auf den Weg.
Natürlich torkelte ich nicht, und ich sah auch nichts doppelt, wie das die Erwachsenen immer erzählen. Nur das Rauschen dröhnte weiter in meinen Ohren und machte alles so laut, daß ich noch lauter werden mußte, wenn mich die Leute hören sollten. Und ich grüßte sie tüchtig, und ich grüßte alle, auch jene, die ich gar nicht kannte. Das schönste war: ich war so überaus freundlich und lachte dabei. Manchmal spürte ich, wie sich
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