Freitags wird gebadet, aus dem Tagebuch eines Minderjaehrigen
Selbst!
Grete, die wir nun gar nicht mehr beachtet hatten, war inzwischen Mama geworden. Aber wir konnten, ihr Schicksal nicht weiter verfolgen, da Frau Puschlik immer noch herumschrie: „Das eine will ich dir sagen, Otto, meine Mutter, Gott laß sie selig ruhn, weißt du, was meine Mutter damals gesagt hat, als ich dich das erste Mal mit nach Hause brachte und du so einen großen Hunger hattest, weißt du, was sie hinterher gesagt hat?“ „Die hat immer hinterher was gesagt.“
„Quatsch, die hat nämlich gesagt: Du, Trude, nimm dich vor dem in acht, der hat so einen unredlichen Blick, ja, das hat sie gesagt.“
„Die hat noch ganz andere Sachen gesagt“, bemerkte Herr Puschlik und war nun auch böse.
„So?“ Frau Nachbar spitzte den Mund und kniff die Augen zusammen. „Was denn, na, was denn?“
„Schwamm drüber“, befahl Herr Puschlik, „ich mag keinen Streit.“
„So, jetzt kneift er wieder, typisch. Siehst du, Liesel, und so feige ist er dauernd. Erst beleidigt er meine tote Mutter und dann ...“
„Heinz, geh mal immer ins Bett“, meinte Papa, und Mama nickte dazu.
„Etwa wegen uns?“ brüllte Frau Puschlik. „Nee, laßt den Jungen nur hier, der kann ruhig mal hören, wies in so einer Ehe zugeht. Das wird ihm eine Lehre sein, für später.“
Papa nutzte den Streit sehr geschickt aus und drehte DIE SEEROSE ab. Damit war ein Problem aus der Stube geschafft. Das andere schrie noch herum, stampfte mit den Füßen und fuchtelte mit den Händen. Papa versuchte auch das zu meinem Vorteil zu regeln und meinte: „Nun vertragt euch mal wieder, Trude.“
„Trude? Sagtest du Trude?“ fragte Frau Puschlik empört. „Warum sagst du nicht Otto, Richard?“
„Na, ich meine natürlich beide.“
„Beide?“ Frau Puschlik sprang hoch. „Beide? Das ist ja allerhand. Wer ist denn hier schuld? Bloß gut, daß du ausgeschaltet hast. Das war erst der halbe Film, wer weiß, was noch alles ans Licht gekommen wär, wenn ich die andere Hälfte auch noch gesehen hätte.“
Herr Puschlik sah traurig aus. „Also ich geh jetzt.“
„Und ich geh auch!“
Wir ließen zunächst Herrn Puschlik aus der Haustür, und als er genügend Vorsprung hatte, seine Frau.
Papa sagte streng zu mir: „Daß du mir morgen in der Schule nicht erzählst, was du in dem Film gesehen hast, Heinz.“
Ich versprach es. Übrigens mit gutem Gewissen, weil ich wußte, daß es die anderen mir erzählen würden.
9
Heut nachmittag begann im Dorf das Erntefest. Die Feierlichkeiten dauern meist bis Montag früh, Kopf- und andere Schmerzen länger.
„Hier hast du fünf Mark“, sagte Papa, „unter der Bedingung, daß du kein Eis ißt.“
„Kein Eis“, antwortete ich exakt. Und was ich verspreche, halte ich manchmal.
Also marschierte ich auf den Rummel. Zu unserm Erntefest gehört eine Luftschaukel, eine Kapelle mit Freitanzdiele, eine Karussell sowie ein paar Schieß- und andere Buden und ein Redner mit Podium. Das ist die unabänderliche Grundausstattung. Allerdings: es ist schon passiert, daß wir keine Luftschaukel bekommen haben, es ist schon passiert, daß die Kapelle zu teuer war, aber es ist noch nie passiert, daß wir keinen Redner bekommen hätten. Was dann noch geschieht, sind Überraschungen, zum Beispiel eine Modenschau des Konsums oder eine Schlagersängerin, die inzwischen so schlecht singt, daß sie es selbst in den Städten gemerkt haben und die dann in den Dörfern zu halben Preisen erworben wird.
Ich stand mit Thekenwilli, Kulak und Hufeisen in der Menge. Der Bürgermeister begrüßte den Redner, und die Leute klatschten, obwohl sich das hinterher als unnötig erwies; denn der Referent erzählte ihnen, was sie das ganze Jahr über gemacht hätten und im kommenden Jahr tun müßten. Und das las er ihnen vor, und das las er so schlecht vor, daß er in der Schule glatt eine Fünf dafür bekommen hätte.
Es ist gut, wenn der Mensch mehrere Leidenschaften pflegt, da kann er, wenn ihm eine verboten wird, ohne traurig zu sein, dann unter den übrigen auswählen. Dieser Umstand erleichterte es mir, den Eisstand zu meiden und mich der Schießerei zu ergeben.
Thekenwilli, Kulak und Hufeisen waren mit meinem Vorschlag einverstanden. Sie hatten schon reichlich Eis geschleckt. Doch nun ist es im Leben so, daß nicht nur Väter und Mütter Bedingungen stellen, die erfüllt werden wollen. Auch wir bedienen uns gern dieses Mittels, um eine Sache durchzusetzen. Zuständigkeitshalber war es Thekenwilli, der verlangte:
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