Freitags wird gebadet, aus dem Tagebuch eines Minderjaehrigen
jeder weiß, was ihm blüht und welche Aussichten bestehen, die Buchprämie zu gewinnen.
Wer zwei Bibeldeuter-Hausnummern hat, ist erledigt, wer fünf Wohnungssuchende auf der Liste hat, die mit dem Bürgermeister Krieg führen, kann damit rechnen, daß drei nichts für den Frieden geben. Also ist der auch erledigt. Und dann beginnt das große Tauschen. Die Nichtleser geben gute Listen zu mäßigen Preisen ab. Freunde zahlen die Hälfte. Als Zahlungsmittel gelten unter anderem Briefmarken, Fahrradklingeln und tschechische Bleistifte. Drei Bibeldeuter haben zum Beispiel einen Wert von etwa fünf Kaugummis - aus Importen versteht sich!
Ich betrachtete meine Liste, starrte auf die Nummern wie ein Sechsausneunundvierzig-Spieler. Tatsächlich: Fünf Richtige, die sechste Nummer war eine Fehlanzeige. Ich erbleichte. Nur ein Trost verblieb mir: Unter den fünf Richtigen waren Leute, die sich den Frieden was kosten ließen. Wenn ich Glück hatte, deckten sie die Schande des sechsten mit ihrer Spende zu.
Zu Haus beim Mittagessen sagte ich zu Papa: „Wir müssen heut nachmittag sammeln gehen.“
„Flaschen und Gläser?“
„Nein, für den Friedensfonds.“
„Eine sehr gute Sache, Heinz“, betonte Papa. Unser schwarzer Kater blickte ihn verständnisvoll an. Ich aber schwieg betroffen in meinen Teller hinein.
Auf der Dorfstraße rannte der Wind hinterm Staube her.
Und aus der Dachrinne fielen Spatzen wie große Tropfen. „Du guckst so merkwürdig“, sagte Vater und sah mich jetzt ebenfalls merkwürdig an.
„Bloß so“, murmelte ich.
„Ist dir vielleicht etwas nicht klar?“
Da meinem Papa immer alles klar ist, schäme ich mich manchmal, zuzugeben, daß mir nicht alles klar ist. Vorsichtig sagte ich: „Auf meiner Sammelliste habe ich die dreihundertdrei!“
„Dreihundertdrei? .Dreihundertdrei?“ Vater suchte in Mutters Gesicht, Mutter suchte in Vaters Gesicht. Plötzlich lachte Papa, so gut er das kann. „Ach, die dreihundertdrei? Den Ziegenwilhelm?“
„Ja, den. Der versaut mir meine ganze Liste und vermasselt die Prämie.“ „Der is nun mal so“, meinte Mama gutmütig.
Und Papa: „Kann sein, der schmeißt dich raus, wenn er seinen Rappel hat.“
Das kränkte mich, das kränkte mich vor allem, weil Papa dazu lächelte, so lächelte, als wäre die Sammelei meine alleinige Angelegenheit. „Das soll er bloß versuchen. Den schaff ich, wenns sein muß.“
Mit einer überschnellen Handbewegung wischte Vater sein Lächeln aus. „Mach mir dort nicht etwa in Privat-Revolution! Du hast dich anständig zu benehmen. Mehr nicht. So einen wie den krempeln wir sowieso nicht mehr um.
Ich erlaubte mir zu bemerken: „Die Republik braucht alle, alle brauchen die Republik. Das steht in der Zeitung, Papa.“
„Zeitung, Zeitung! In der Zeitung steht viel und alles.“ „Nicht alles steht in der Zeitung“, verteidigte ich mich. „Du hast selber erst neulich gesagt, wenn bei uns was schiefgeht, steht nichts in der Zeitung!“
Papa wurde noch ärgerlicher und behauptete einfach, ich verstünde das noch nicht. „Die Milch kommt immer noch aus dem Stall und nicht aus der Zeitung.“
Mutti trat mir auf den Fuß. Das war ein Fehltritt. Sie guckte nämlich zu Papa und meinte seinen Stiefel.
„Na ja, Heinz“, sagte Vater sanfter und klopfte mir väterlich auf die Schulter, „das Leben ist kompliziert. Wenn du älter sein wirst, wirst dus selbst noch spüren.“
Ich brauchte nicht erst älter zu werden; ich wußte fast genau, daß mich bei Ziegenwilhelm das komplizierte Leben erwartete. Ausgerüstet mit Vaters und Herrn Lampels goldenen Worten, zog ich los.
Unterwegs traf ich den Bürgermeister und grüßte.
Danach traf ich unseren ehemaligen Hauswirt und grüßte nicht.
Die Dorfbewohner harkten sich durch die Gärten, schnitten späte Blumen, umkreisten ihre Beete, und was das schönste ist: Sonnabends sieht man in den Augen der meisten Leute schon den Sonntag.
Zuerst ging ich zu den Leuten mit den guten Hausnummern, unter denen ein Rentner war, ein alter Mann, der sogar drei Mark gab, die er mit zitternder Hand aus einer hohen buntbemalten Tasse im Glasschrank nahm. Das geschah ohne ein Wort und lächelnd.
Minuten später strebte ich meinem Sammelhöhepunkt zu. Das Haus Nummer dreihundertdrei thront auf einem Hügel. Ziegenwilhelm bekommt den Wind aus erster Hand. Und wenn es auch manchmal ein frischer Wind ist, ihm macht das nichts, sein Haus hat Festungsmauern, kleine Fenster und er ein dickes Fell.
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