Fremd küssen. Roman
mich.
»Sag mal, spinnst du? Was ist denn mit dir los?«, fragt Richard fassungslos. Ich knie unter dem Tisch, aus Angst, dass Marius mich sehen könnte, und komme mir vor wie ein mitgebrachter Hund. »Sei still«, zische ich leise. Die Kieselsteine drücken gegen meine Knie. Zum Glück halten die drei wenigstens ihre Klappe. Da! Marius’ Beine kommen näher. Mehr kann ich nicht sehen. Er bleibt stehen und fragt: »Ist hier noch frei?« Weil keiner antwortet, setzt er sich auf MEINEN Stuhl. Wie furchtbar. Und nun? Was würde eine selbstbewusste, junge Frau im besten Alter jetzt an meiner Stelle tun? Überleg, überleg. Da! Eine Haarspange, die irgendjemand verloren hat. Danke, das ist meine Rettung. Ich krabble unter dem Tisch hervor, strahle, wedle mit der Spange und sage: »Ich habe meine Spirale verloren. Zum Glück hab ich sie wiedergefunden!«
Schon während ich Spirale statt Spange sage, bemerke ich den Fehler. Aber zum Glück bemerkt ihn niemand außer Marius. Und der lächelt mich an und sagt nichts.
Er bringt mich nach Hause, nachdem wir stundenlang im Ahornshof gesessen haben. Pitbull, Pinki und Richard sind gegangen, nachdem ich mehrere Male allen die Schienbeine mit meinem Schuh angebrochen habe. Pitbull meinte dann zu Richard, ihm wäre kalt und er müsste die Renovierungsarbeiten mit ihm bei sich zu Hause besprechen. Pinki nähmen sie mit. Als sie weg sind, bin ich erleichtert. Sicher wird mich Marius jetzt gleich fragen, was das für Gestalten sind, mit denen ich meine Freizeit verbringe. Aber er fragt gar nicht und bestellt uns noch ein Bier. Allerdings fragt er dann, warum ich unter den Tisch gekrochen bin. Er gibt zu, mich dabei beobachtet zu haben. Ich überlege kurz zu lügen, aber dann entscheide ich mich doch für die Wahrheit. Ich möchte nicht noch mehr Fehler machen. »Weil ich Angst hatte, dass du die Typen schrecklich findest, mit denen ich hier gesessen habe«, sage ich. Er lacht. »Wieso? Die waren doch in Ordnung, jedenfalls sah es so aus. Ich mag Menschen, die sich nicht verstellen. Deine Freundin war auch sehr nett.« Meine Freundin? Oh. Er meint Richard. Vorsichtshalber kläre ich den Irrtum mal nicht auf.
Ach, ist das herrlich, mit ihm durch die Straßen zu laufen. Wir stellen fest, dass wir beide Menschen hassen, die kein Fleisch essen (es geht doch nichts über ein paniertes Schnitzel oder Rouladen), und Frauen, die in der Kneipe zusammen aufs Klo gehen. Und Leute, die Fremdwörter falsch benützen. Marius erzählt mir von einem Bekannten, der sich in einem französischen Restaurant bis auf die Knochen blamierte, als er nach dem Ober mit den Worten »Clochard, bitte zahlen!« rief. Ich lache mich tot. Dann erfinden wir Sätze, in denen Fremdwörter falsch eingesetzt sind. Ich rufe: »Pass auf, sonst ejakuliert die Situation«, er kontert mit: »Auf meinem Fachgebiet bin ich eine Konifere.« »Ich verliere gleich das Übergewicht!« »Ich habe vier Silvester studiert!« »Ich wusste Infinitiv, dass er mich betrogen hat!« Wir finden es
auch beide grauenhaft, wenn Leute sich Dufttännchen in ihr Auto hängen oder die Scheiben mit dunkler Folie abkleben. Das Grausamste: Garfield-Katzen mit Saugnäpfen an den Fenstern, die als Sonnenschutz dienen sollen.
Dann geht es um diese Horrorgeschichten, die jeder schon mal gehört hat. Jeder kennt jemanden, der jemanden kennt, der jemanden kennt, der nach einem längeren Karibikaufenthalt einen Pickel bekam, der immer größer wurde und dann aufplatzte, und Tausende von kleinen Spinnen sind rausgekrabbelt. Ich kenne aber wirklich jemanden, dessen Freundin hatte eine Bekannte und diese Bekannte hat in einem Cheeseburger von McDonald’s mal einen Rattenzahn gefunden. Und Marius kennt wiederum jemanden, von dem der Cousin kannte in den USA jemanden, der K.-o.-Tropfen in ein Glas geschüttet bekommen hat. Der arme Kerl wurde dann ohnmächtig und wachte unter einer Brücke wieder auf. Mit einer Niere weniger. Die Operation war aber fachmännisch durchgeführt worden. Aber am gruseligsten finde ich immer noch diese Geschichte: Ein frisch verliebtes Pärchen macht Urlaub in Schottland. Die beiden mieten sich einen Wagen und kurven durch die Highlands. Plötzlich wird es neblig und sie verfahren sich, und dann ist auch noch das Benzin alle. Da stehen sie nun mitten im vernebelten Wald. Der Mann will Hilfe holen und geht weg. Die Frau bleibt im Auto sitzen. Plötzlich bemerkt sie draußen im Nebel irgendeine Gestalt. Die Gestalt klettert
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