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Fremd küssen. Roman

Fremd küssen. Roman

Titel: Fremd küssen. Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steffi von Wolff
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Passage »Ich mach mir Sorgen, Sorgen um dich, denk auch an morgen, denk auch an mich … « ist er dann ganz verschwunden. Was aus dem Jungen geworden ist, hat nie jemand erfahren. O mein Gott!
    Um mich abzulenken, schlage ich vor, lustigere Lieder zu singen, z.B. Gittes: »Ich will ’nen Cowboy als Mann.« Weil aber keiner außer mir den Text kennt, wird mein Wunsch abgelehnt.
    Zum Glück ist kein Stau und wir erreichen Hamburg gegen 22 Uhr. Vor der ersten Kneipe, die wir finden, halten wir an, weil alle fast sterben vor Hunger. Danach besteht Tom darauf, sofort zur Reeperbahn zu fahren, um dort in der Boutique »Bizarre« schon mal die eine oder andere Vorbesichtigung zu tätigen. Dazu haben alle anderen, ich eingeschlossen, aber keine Lust, wir wollen feiern. Erst das Vergnügen, dann die Arbeit. Also Reeperbahn ja, Boutique nein. Pitbull kreischt: »Auf zum Silbersack!« und geht wichtigtuerisch voraus, nach dem Motto: »Vertraut mir, ich kenn die Gegend hier wie meine Westentasche.«
     
    Ich habe nie eine urigere Kneipe gesehen als den »Silbersack« in Hamburg. Seemannsmalereien an den Wänden, die Bestuhlung noch aus richtigem Holz aus den frühen fünfziger Jahren und der Steinboden aus der guten alten Zeit. Pitbull bestellt Jubi und Flens und wir stoßen fröhlich an. Drei Stunden später wollen Pinki und Pitbull unbedingt in die Herbertstraße. Falls es jemanden gibt, der nicht weiß, was die Herbertstraße ist: eine mit Sichtschutz abgetrennte Straße auf dem Kiez, in die nur Männer dürfen, um sich die Professionellen auszusuchen, die hinter Schaufensterscheiben auf Kundschaft warten. Frauen haben absolut keinen Zutritt. Das ärgert mich. Ich will auch in die Herbertstraße gehen, aber Pinki meint, das wäre zu gefährlich. Die Nutten würden mir mit ihren Fingernägeln das Gesicht zerkratzen. Darauf habe ich nun nicht wirklich Lust. Während also Pitbull und Pinki mal eben auf der Herbertstraße ihren Bedürfnissen nachgehen, latschen wir anderen schon mal vor in den »Goldenen Handschuh«. Ist das ’ne üble Spelunke. Hier hat also Honka sein Unwesen getrieben? Gero ist ganz ehrfürchtig und sucht heimlich auf dem alten Dielenboden nach eingetrockneten Blutspuren oder den eingetrockneten Resten einer Milz. Vielleicht bekomme ich jetzt wenigstens Auskunft,
wie
denn nun Honka gemordet hat.
    Mein Opfer ist ein alter, zahnloser Seemann mit Kapitänsmütze. Er sieht aus wie die Hochseefischer auf den Souvenir-Aschenbechern. Fehlt nur noch die Pfeife im Mund. Auf meine Frage hin deutet er auf einen Barhocker neben sich. Ich winke Gero heran, und der Mann fängt leise an zu erzählen. Honka wäre nach außen ein ganz unscheinbarer Mann gewesen, aber nachts! Nachts, da wollte Honka TÖTEN . Er hätte sich Prositutierte gesucht und mit in seine Wohnung genommen. Der Mann deutet viel- sagend nach oben. Gero sieht aus, als müsste er gleich kotzen vor Aufregung. Honka hat den Nutten das Geld abgenommen und sie bewusstlos geschlagen. Wenn die armen Opfer wach wurden, waren sie gefesselt, und Honka hat sie entweder a) langsam erwürgt, b) schnell erwürgt, c) gar nicht erwürgt, sondern erdrosselt, d) erstochen oder e) hat der Mann jetzt auch vergessen. Jedenfalls muss es grauenhaft gewesen sein. Gero fasst sich an den Hals. Er leidet immer so schrecklich mit. Ich bin zufrieden, dass ich jetzt Bescheid weiß, ob das alles stimmt oder nicht, ist mir egal.
     
    Wir feiern dann fröhlich weiter, die anderen kommen auch irgendwann wieder dazu und gegen halb vier Uhr morgens sind wir zwar immer noch fröhlich, aber auch ziemlich müde, und dann sind wir gar nicht mehr fröhlich, als wir feststellen, dass keiner von uns daran gedacht hat, Hotelzimmer zu reservieren. Bevor mal wieder ein Handgemenge zwischen Pitbull und Pinki ausbricht, sage ich, dass ich mit Iris losgehe und ein Hotel klarmache.
    »Wir holen euch ab«, höre ich mich selbstbewusst rufen, während wir rausgehen. Ich hatte doch da vorhin irgendwo ein Hotel gesehen, es können auch zwei oder drei gewesen sein. Hier rechts, dann links, dann wieder links und rechts. Oder war es umgekehrt? Iris ist wie ich ziemlich beschwipst, und wir wissen beide ehrlich gesagt bald nicht mehr, wo wir uns eigentlich befinden. Es ist zum Davonlaufen mit meiner Orientierungslosigkeit, und die hat noch nicht mal was mit Alkoholkonsum zu tun.
    Es gibt Menschen in meiner näheren Umgebung, die, seitdem sie mich etwas länger kennen, ÜBERHAUPT NICHT MEHR ans Telefon gehen,

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