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Fremde am Meer

Fremde am Meer

Titel: Fremde am Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L Olsson
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Fortschritten in der Schule berichtete, und druckte das Dokument aus.
    Während ich noch die Blätter sortierte, hörte ich ein Auto vorfahren. Ich erstarrte, und mein Herzschlag setzte aus. Ich ließ alles stehen und liegen und rannte hinaus.
    Aber es war nicht Lola, sondern George.
    »Ich bin nur gekommen, um zu sehen, wie es läuft«, sagte er, als er um die Ecke bog. »Haben Sie etwas von Lola gehört?«
    Ich schüttelte den Kopf und bat ihn ins Haus, doch er setzte sich auf einen der Rattanstühle auf der Terrasse. Ich bot ihm Tee oder Kaffee an. Oder etwas zu essen – es war Mittag. Er akzeptierte, und ich ging in die Küche, um nachzuschauen, was ich dahatte. Nicht viel. Mein Kühlschrank enthielt nur die Reste der Suppe und ein Stück Käse, und ich hatte noch ein bisschen altbackenes Brot. Ich wärmte die Suppe, eben genug für zwei Portionen, toastete das Brot und trug alles nach draußen.
    George hatte eine von Ikas Muscheln in der Hand. Zumindest sah es so aus. Er musterte sie aufmerksam. Ich stellte das Tablett auf den Tisch, und er blickte auf.
    »Die hat er mir gegeben«, sagte er. »Als ob er mich bezahlen wollte. Zuerst wusste ich nicht, ob ich sie annehmen sollte, aber dann fand ich es richtig. Ich hatte das Gefühl, dass er vielleicht Vertrauen zu mir gewinnen würde, wenn wir aus unserer Übereinkunft eine reguläre Geschäftsbeziehung machten.«
    Ich servierte die Suppe und schenkte Tee ein.
    Der Wind hatte sich gelegt, und die Sonne stand nicht mehr direkt über uns. Ihr schräg herabfallendes Licht verstärkte die Farben und erzeugte Schatten, die allen Formen neue Tiefe verliehen. Der Strand war plötzlich keine ebene Fläche mehr, sondern eine sanft gewellte Hügellandschaft in unzähligen Braun- und Grautönen.
    »Vielleicht kommt sie ja gar nicht. Aber das würde das Problem nicht lösen, oder? Sie können es nicht einfach auf sich beruhen lassen.«
    Ich sah ihn an und nickte.
    »Ich begreife gar nicht, dass ich so dumm sein konnte. So … jedenfalls hätte ich es besser wissen müssen. Schließlich bin ich Ärztin. Ich weiß doch, was in solchen Situationen zu tun ist. Ich wusste es. Natürlich. Und trotzdem …«
    »Aber Sie sind auch nur ein Mensch, Marion. Manchmal folgen wir einfach unserem Herzen. Manchmal ist das auch das Richtige und manchmal eben nicht. Unsere Gefühle können uns in die Irre führen, und wir machen alles noch schlimmer, wenn auch mit den besten Absichten.«
    Er verstummte und starrte wieder hinaus aufs Meer.
    »Wenn man mit seinen Entscheidungen allein ist, geht man das größte Risiko ein, die falschen zu treffen.«
    Wir aßen die Suppe und saßen dann eine Weile in behaglichem Schweigen da. Wir lehnten uns beide in unseren Stühlen zurück und schlossen die Augen.
    »Ich habe Ihnen die Fotos nie gezeigt«, sagte ich. »Und ich habe Ihnen nie richtig erzählt, warum ich tun musste, was ich getan habe.«
    Als er nicht antwortete, öffnete ich die Augen.
    Er schaute mich an.
    »Ich wusste es irgendwie trotzdem«, sagte er. »Das hier ist ein seltsamer Ort mit seiner eigenen Logik. Isoliert und in sich gekehrt, aber mit einem ausgeprägten Sinn für Solidarität und Loyalität. Bei denen, die dazugehören. Die meisten leben schon seit ihrer Geburt hier, und viele sind verwandt miteinander. Und auch wenn sie es nicht sind, betrachten sie sich wohl trotzdem als eine Art Familie. Und sie kümmern sich umeinander, auf ihre Art. Aber dann gibt es hier Menschen wie Sie und mich. Wir werden nie dazugehören, so sehr wir es auch versuchen oder uns wünschen mögen. Aber wir werden respektiert. Das hat bei uns beiden lange gedauert, doch jetzt haben wir hier unseren Platz, und die Leute achten uns. Und dann gibt es noch Menschen wie Lola. Sie wird weder jemals dazugehören noch respektiert werden. Sie existiert für die anderen gar nicht.«
    »Wieso?«
    »Na ja … sie hat einige grundlegende Fehler gemacht. Wenn man hierher kommt, muss man den ungeschriebenen Gesetzen dieses Ortes gehorchen. Ich glaube, die hat jede Gemeinschaft. Wenn man sie nicht befolgt oder sie ignoriert, wird man nie einbezogen.«
    »Und was hat Lola getan – oder nicht getan?«
    George schaute mich an, als versuchte er, sich darüber schlüssig zu werden, wie viel ich schon wusste. Oder wie viel er verraten sollte.
    »Lola lügt«, sagte er schließlich.
    Ich konnte ein unfreiwilliges Lachen nicht unterdrücken.
    »Lügt?«, wiederholte ich.
    George schüttelte den Kopf.
    »Sie verstehen nicht«,

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