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Fremde am Meer

Fremde am Meer

Titel: Fremde am Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L Olsson
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ich es ursprünglich als ein vorübergehendes Arrangement, bis ich der Welt wieder würde gegenübertreten können. Oder ich begriff es als ein dauerhaftes, ohne das mein Leben nicht funktionieren konnte. Jedenfalls war das, was sich in einem Stadium der Verzweiflung ergeben hatte, etwas Permanentes geworden. Die Abgeschiedenheit erschien mir als Garantie dafür, dass nie wieder etwas meine Existenz erschüttern, nichts die zerbrechliche Stabilität gefährden würde, für deren Aufbau ich so lange gebraucht hatte. Und wie es mit Dingen ist, die man nicht gleich erledigt, hatte ich mich an das Haus gewöhnt, wie es war, unfertig und vernachlässigt, wie ich es vorgefunden hatte, und machte mir keine Gedanken darüber.
    Ich hatte nie geglaubt, dass ich jemals Grund haben würde, es mit anderen Augen zu sehen.
    Aber hier saß ich, am Küchentisch, und wartete voller Sorge auf die Ankunft einer unwillkommenen Besucherin.
    Später ging ich ins Wohnzimmer, stellte leise Musik an und legte mich aufs Sofa.
    Marianne lebt in einer neuen Realität. Sie ist noch am selben Ort, aber alles hat sich verändert. Sie geht jetzt zur Schule. Doch sie bricht morgens nicht mit Vorfreude auf, sondern mit Angst und beklommenem Herzen. Die Schule ist nicht weit entfernt, sodass sie allein zu Fuß hingehen kann. Aber es fühlt sich an, als ob irgendetwas sie zurück nach Hause zieht. Sie muss sich jeden Tag zu dem kurzen Weg überwinden. Bei der Heimkehr dagegen rennt sie, so schnell sie kann, und tritt atemlos aus dem Fahrstuhl. Sie lauscht an der Tür, während sie nach der Schlüsselkette unter ihrer Jacke tastet.
    Sie hat ihren eigenen Schlüssel, denn Mutter ist oft sehr müde. Sie hat eine Frau, die jeden Tag kommt, um ihr zu helfen. Frau Andersson. Marianne begegnet ihr selten, denn sie ist vormittags da, nie nachmittags. Am Nachmittag ist Marianne da.
    Wenn sie in der Wohnung ist, lässt sie ihre Schultasche fallen, schleudert ihre Schuhe von sich und läuft ins Kinderzimmer. Und wenn sie sich dann auf den Fußboden hockt und zwischen den Gitterstäben hindurchspäht, verspürt sie jedes Mal die vertraute Wärme. Ihr Inneres wird ganz weich, und der Krampf in ihrem Herzen lässt nach. Alles ist, wie es sein sollte. Wenn Daniel schläft, greift sie behutsam hinein und legt ihm die Hand auf den Bauch, zieht sie zurück und hält sie sich an die Nase und atmet seinen Geruch ein. Oft legt sie sich auf den Vorleger neben dem Bettchen und schließt die Augen, bis sie hört, dass er sich regt.
    Manchmal ist Daniel bei ihrer Ankunft schon wach und steht, sich an das Geländer klammernd, in seinem Bett. Wenn sie eintritt, lächelt er und beugt die Knie, als wolle er springen, und wiegt seinen Körper mit breitem Grinsen hin und her. Das bedeutet, dass er raus will. Und Marianne darf ihn jetzt auch herausheben. Das ist nicht leicht, doch sie schafft es, weil Daniel sich so eng an sie schmiegt.
    Dann spielen sie lange auf dem Fußboden. Daniel kann noch nicht laufen, aber krabbeln und sich aufrichten, wenn er etwas zum Festhalten hat. Wenn er Hunger bekommt, macht sie ihm ein Fläschchen und hält ihn auf dem Schoß, während er trinkt. Wenn seine Windel nass ist, wechselt sie sie. Sie kommen sehr gut allein zurecht. Sie brauchen niemanden.
    Irgendwann taucht allerdings immer Mutter auf. Sie bewegt sich langsam, und es sieht aus, als sei sie nicht ganz sicher, wohin sie eigentlich will. Ihre hübschen Kleider zieht sie nie mehr an. Oft trägt sie ihren alten Morgenmantel bis weit in den Abend hinein. Wenn sie Marianne entdeckt, bleibt sie in der Tür stehen und schaut sie an. Sie hat die Arme eng um die Brust geschlungen, als sei ihr kalt. Sie schaut Marianne an und lächelt ihr trauriges Lächeln. Dann nickt sie langsam, ehe sie sich abwendet und geht. Marianne umarmt Daniel noch fester, steckt die Nase zwischen sein Kinn und seine Schulter und atmet seinen Geruch ein. In diesem Moment fühlt sich alles richtig an.
    Eines Tages hört sie Daniel in der Wohnung schreien, als sie ihren Schlüssel hervorzieht. Sie versucht, sich zu beeilen, und der Schlüssel entgleitet ihren eifrigen Fingern. Als es ihr endlich gelungen ist, ihn ins Schloss zu stecken und aufzuschließen, rennt sie den Flur entlang aufs Kinderzimmer zu. Doch das Schreien kommt nicht von dort. Sie läuft in die andere Richtung, zum Wohnzimmer.
    Da sind sie, Daniel und Mutter, auf dem Fußboden vor dem Kamin. Mutter hält Daniel auf dem Schoß. Nein, sie hält ihn nicht – er

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