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Fremde am Meer

Fremde am Meer

Titel: Fremde am Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L Olsson
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wieder heim, denn dann verlässt Frau Andersson die Wohnung.
    Wenn Hans da ist, schließt sie die Tür zum Kinderzimmer, und sie bleiben den ganzen Nachmittag darin. An den meisten Abenden geht Hans aus, und sie essen in der Küche. Frau Andersson kocht das Essen, bevor sie geht. Danach nehmen Marianne und Daniel ein Bad. Hin und wieder kommt Mutter und setzt sich auf den geschlossenen Toilettendeckel und sieht ihnen beim Spielen in der Wanne zu. Und dann lächelt sie ein wenig.
    Es ist Daniels zweiter Geburtstag, und Frau Andersson hat eine kleine Torte gebacken. Sie ist mit hellblauem Marzipan überzogen, auf dem mit roter Marmelade »Daniel 2 Jahre« geschrieben steht. In der Mitte stecken zwei rot-weiß gestreifte Kerzen. Es ist die schönste Torte, die Marianne je gesehen hat. Sie und Mutter haben den Tisch mit Tellern und Löffeln gedeckt. Daniel sitzt in seinem Hochstuhl am Ende des Tisches. Marianne will gerade die Kerzen auf der Torte anzünden, als sie hört, wie die Wohnungstür aufgeht. Alle erstarren, sogar Daniel. Es wird still. Marianne hält das brennende Streichholz in der Hand, bis es ihre Finger versengt. Sie bläst die Flamme aus und lässt sich auf ihren Stuhl sinken. Sie sehen einander an, Mutter und Marianne, aber keiner spricht.
    Hans kommt nicht in die Küche. Er geht direkt ins Schlafzimmer und knallt die Tür hinter sich zu. Mutter sieht zu, wie Marianne Daniel aus seinem Stühlchen hebt und auf den Boden setzt, sagt aber nach wie vor kein Wort. Sie bleibt absolut reglos sitzen, während Marianne Daniels Hand nimmt, ihn ins Kinderzimmer zurückbringt und in sein Bett legt. Daniel wimmert ein bisschen, aber als Marianne den Zeigefinger an die Lippen führt und »Schsch« flüstert, lächelt er und macht es ihr nach, und Marianne schlüpft wieder in die Küche. Mutter sitzt noch auf ihrem Stuhl, und Marianne schneidet drei Stücke aus der Torte. Sie versucht, sie auf die Teller zu heben, ohne dass sie zur Seite fallen, aber eins kippt trotzdem um. Das bedeutet Unglück, sagt Frau Andersson. Marianne richtet es mit den Fingern auf und stellt den Teller vor Mutter hin. Mutter streckt die Hand aus und streicht langsam über Mariannes Haare. Marianne bleibt einen Moment lang mit den zwei anderen Tellern in den Händen stehen und weiß nicht, was sie tun soll. Am Ende tut sie gar nichts, sondern dreht sich einfach um, geht zurück ins Kinderzimmer und schließt die Tür hinter sich.
    Sie hebt Daniel aus seinem Bett, füttert ihn mit Torte und isst auch ein wenig davon. Sie sieht besser aus, als sie schmeckt. Sie spielen ein Weilchen. In der Wohnung ist alles still. Es ist Zeit für Daniel zu schlafen, doch er hat seine Milch noch nicht bekommen. Sie wechselt ihm die Windeln, legt ihn wieder in sein Bettchen und schleicht in die Küche. Mutter ist nicht mehr da, und es ist dunkel. Marianne macht kein Licht an. Sie kennt sich aus, und vom Flur her fällt genug Licht in den Raum, dass sie die Milch erhitzen und die Flasche füllen kann. Das ist schnell getan, und sie schafft es zurück ins Kinderzimmer, ohne sich in der dunklen und stillen Wohnung an etwas zu stoßen.
    Daniel trinkt seine Milch, während Marianne ins Bad schlüpft, um sich die Zähne zu putzen und ihr Nachthemd anzuziehen. Immer noch keine Geräusche, aber sie bleibt einen Moment lang hinter der Tür des Kinderzimmers stehen und lauscht. Dann steigt sie ins Bett und legt sich neben Daniel. Er schläft auf dem Rücken, und Milch tröpfelt ihm aus dem Mundwinkel. Sie beugt sich vor, leckt sie ab und gibt ihm einen Kuss. Dann zieht sie die Decke hoch und wickelt sie beide fest hinein. Ihre Nase in Daniels weichen Haaren vergraben, schließt sie die Augen und schläft irgendwann auch ein.
    Plötzlich sah ich alles absolut klar und objektiv. Ich saß immer noch am Küchentisch und hatte kein Licht angemacht. Das Haus lag im Dunkeln, und es war, als würde ich warten, lauschen. Der Strand jenseits des Fensters schien sein eigenes schwaches Licht zu verströmen. Alles andere war Finsternis.
    Wieder holte ich das Bild aus meinem Gedächtnis hervor und betrachtete die zwei kleinen Kinder, die sich aneinander klammern. Weil sie nur sich haben.
    Ich hatte die beiden noch nie so gesehen. Nicht einmal, als ich zum ersten Mal las, wie andere Leute sie beschrieben.
    »Die beiden verängstigten Kinder, zwei und acht Jahre alt, wurden aneinander geklammert im Kinderzimmer gefunden.«
    Als wir jung verheiratet waren, machten mein Mann und ich eine

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