Fremde Federn
Teil des Geländes, wo Glaser Glasscheiben in Metallrahmen einpaßten. Zwei Wände der neuen Bühne waren fertig. Sie spiegelten die Sonne und die Wolken wider wie ein geschliffener Diamant.
Fritzi schritt näher, strich mit den Fingerspitzen über hohe Gräser. Im Geiste sah sie das ergriffene Mädchen, das auf dem Weltausstellungsgelände vor dem Portrait von Ellen Terry stand. Dieses unschuldige Kind hatte so hochfliegende Träume gehabt. Was war daraus geworden? Erfahrung hatte ihre Stelle eingenommen. Unerfüllte Träume verschwanden, verstaubten in einer düsteren Schublade des Herzens wie der aus der Mode gekommene Stil des vergangenen Jahres - Erinnerungen, was hätte sein können oder sollen. Mitunter verändern sich Träume. Ihre hatten sich verändert, ähnlich wie sich ihr Gesicht im Spiegel langsam veränderte; die ersten Krähenfüße bildeten sich um die Augen, die Wangen wurden kaum merklich schmaler, bis die Spuren des Alters sich eines schrecklichen Tages im Spiegel zeigen und nicht mehr zu übersehen sein würden. Solange sie denken konnte, hatte sie Schauspielerin werden wollen. Sie hatte deshalb sogar mit ihrem Vater gebrochen. Und sie war Schauspielerin. Aber was für eine? Eine, die Briefe dafür bekam, daß sie vom Pferd fiel. Sie brachte Eddie und Charlie mit alten Kamellen zum Lachen. Ihr Traum war auf eine Art und Weise wahr geworden, wie sie es nicht erwartet hatte. Sie war nicht Lady Macbeth; sie war nicht einmal ein Clown in einem Stück von Shakespeare.
Jetzt veränderte sich das Bild vor ihrem geistigen Auge; sie sah einen reißenden Fluß, der einen unbarmherzig weitertrieb.
Man konnte mit ihm schwimmen, indem man einfach darum kämpfte, nicht unterzugehen, oder man konnte aufgeben und ertrinken. Fritzi hatte nicht die Absicht zu ertrinken. Sie würde immer das Leben wählen.
Und was war mit ihrem anderen Traum - mit dem, der ihr Herz so heftig bedrängte? Ihr Traum von Loy als ihrem Geliebten und Partner fürs Leben - würde sich auch dieser Traum verändern?
Oder verschwinden?
Fritzi befolgte Charlies Rat und stürzte sich mit Feuereifer in den neuen Film. In Eddies Drehbuch für einen Zweispuler war sie eine liebenswerte, aber tolpatschige Nell, die vorübergehend als Dienstmädchen in einem vornehmen Haus arbeitete. Die dürftige Geschichte sah vor, daß Nell zufällig einen Mann entlarvte, der vorgab, ein europäischer Adliger zu sein, in Wirklichkeit aber ein Dieb war, der bei einem Kostümball die Damen um ihren Schmuck erleichtern wollte.
Die Außenaufnahmen wurden am Château Holly, einem im gotischen Stil erbauten Herrenhaus in der Franklin Street gedreht. Das am Hang gelegene Anwesen bot einen Blick auf die bescheideneren Villen entlang Hollywood und Sunset Boulevard. Ein Bankier namens Lane hatte das Haus 1906 erbaut. Lanes Frau blieb während der Dreharbeiten ständig in der Nähe, zweifellos aus Angst, die für schlechte Manieren bekannten Filmleute könnten ihren Besitz beschädigen.
Am nächsten Tag kehrten sie ins Studio zurück. Eine SlapstickSzene folgte der anderen. Etliche Torten wurden geworfen, fast eine ganze Kiste billiges Geschirr zerbrochen. Als Höhepunkt sollte Fritzi an einem Kronleuchter schaukeln, der an den Dachbalken der Außenbühne angebracht war. Während die Statisten in ihren geliehenen Kostümen stümperhaft nach Luft rangen und sich krümmten, fiel der Kronleuchter herunter - und mit ihm Fritzi in einer Lawine von Mörtel und Gips. Der Boden war mit zwei Matratzen gepolstert, aber der Aufprall war trotzdem nicht sanft. Als Jock Ferguson eine Nahaufnahme machte, war der schmerzverzerrte Ausdruck auf ihrem Gesicht echt.
Die Nachricht, die sie bei Windy am Wasserloch hinterließ, erreichte Loy, als er von der Insel Catalina zurückkam, wo er in einem Abenteuerfilm als Pirat mitgewirkt hatte. Eines Abends holte er Fritzi in einem geliehenen Ford ab. Sie fuhren nordwärts nach Ventura zu einem baufälligen Strandrestaurant auf Pfählen, wo es herrliche Muscheln und Schollen gab.
Um halb acht trat eine Drei-Mann-Kapelle auf. Auf der offenen Veranda, die zum Meer hinausging, gab sich Fritzi alle Mühe, Loy die Schritte für den Castle Walk und den Grizzly Bear beizubringen. Im Grunde hatte er zwei linke Füße, aber trotzdem glitten sie beschwingt über die Veranda, und über seine wiederholten Stolperschritte half ihnen Gelächter hinweg.
Kurz vor Mitternacht, sie waren wieder zurück in Venice und saßen auf der Veranda, erzählte er ihr,
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