Fremde Federn
Gelächter bei Nells Sturz vom Kronleuchter und Beifallsrufe, als sie ein Plätteisen über ihre Schulter warf und damit den Möchtegerndieb niederstreckte. Am Ende schwenkte die Kamera zur Nahaufnahme nach unten auf Nell, die vor Glück ganz benommen war, weil der hübsche junge Sprößling der Familie sie zum Dank küßte. Das Publikum applaudierte, nur ein alter Miesepeter murmelte: »Chaplin ist lustiger.«
In der Eingangshalle trafen sie auf Kelly und Bernadette. »Meine Kasse wird klingeln«, sagte Kelly. Aus seinem Mund war dieser Satz soviel wie eine Lobeshymne.
Sie hielt sich an Loys Arm fest, froh und glücklich, daß der Film so gut angekommen war. Zu ihrer eigenen Überraschung fand sie sich als Komikerin gar nicht schlecht. Ihre schauspielerische Leistung konnte sich sehen lassen, an einigen Stellen sogar mehr als das. Eddie war auch aufgeregt, er plapperte wie ein Schuljunge mit Rita. Man mußte B. B. anrufen, der mit einer Sommergrippe im Bett lag.
Der Sommerabend war trocken und warm, der Broadway überfüllt. Die Menschen, die im Schein der Straßenlaternen schlenderten, schienen sorglos, unberührt von den Nachrichten der russischen Mobilmachung infolge der Tatsache, daß Österreich Serbien vor wenigen Tagen den Krieg erklärt hatte. Rußland verbündete sich mit Frankreich und Großbritannien zur Entente gegen Deutschland und Österreich, dem Angreifer auf dem Balkan.
Als sie zu viert ein Spaghettilokal betraten, sagte Loy zu Fritzi: »Diesen Film sollten wir gebührend feiern. Ich weiß eine herrliche Stelle für ein Picknick an der Küste über Inceville. Hättest du morgen Lust?«
»Mußt du da erst fragen?«
Er grinste. »Eigentlich nicht. Aber Onkel Nate sagte immer, ein höflicher Mensch fragt. Ich werde mir den Ford ausleihen.«
»Köstliches Hähnchen«, sagte er. »Ziemlich das beste, was ich je gegessen habe.«
»Danke. Ich wünschte, ich könnte diese Lorbeeren für mich einheimsen.«
Fritzi saß im Gras, den Rock fest untergeschoben, damit er sich nicht aufbauschte und zuviel Bein enthüllte, genauso wie sie es als kleines Mädchen gelernt hatte. Die Sonne zauberte einen sinnlichen Glanz auf ihr Gesicht. Der Meerwind zerzauste ihr blondes Haar.
»Du hast es gar nicht gemacht?«
»Nein, tut mir leid. Levy’s Delikatessen. Samstags geschlossen, aber sonntags geöffnet. Meine Mutter ist eine ausgezeichnete Köchin. Sie hat immer versucht, eine gute Hausfrau aus mir zu machen, aber ich war eine herbe Enttäuschung für sie. Ich kann nicht mal Betten machen.«
»Wozu auch? Wenn das mit der Publikumspost noch ein, zwei Jahre so weitergeht, kannst du dir zwanzig Dienstboten leisten.« Sie lachte.
Weit unterhalb der Hügelkuppe, auf der sie ihr blauweißes Tischtuch ausgebreitet hatten, rollten die kobaltblauen Wellen des Pazifiks heran und zerbarsten an den Uferfelsen in schäumender Gischt. Die Sonne wurde von den Kotflügeln eines leuchtendroten Tourenwagens auf der Küstenstraße grell widergespiegelt. Er fuhr lautlos wie in einem Film, da Wind und Wellen das Fahrgeräusch übertönten.
Loy stellte die Schüssel mit Krautsalat in den Korb zurück, dann hielt er die Flasche Buena Vista gegen die Sonne, um zu prüfen, wieviel von dem Wein noch übrig war.
»Von dem weißen ist noch da.«
»Ich brauche keinen Tropfen mehr. Hier ist es so traumhaft schön, daß sogar ein Wassertrinker beschwipst würde.«
Er lächelte und streckte die Beine aus. Er trug eine hellbraune Cordhose, ein dunkelblaues Hemd und ein rotes Halstuch - die Kleidung eines arbeitenden Mannes. Aber für Fritzi sah er so strahlend aus wie ein morgenländischer Mogul in Seide und Juwelen.
Loy stopfte seine Pfeife und schloß seine kräftigen braunen Hände um das Streichholz. Aus Pfeifenkopf und Spitze stieg Rauch auf, der sich im Wind verlor. Er rieb den Kopf des Zündholzes an der Schuhsohle ab und legte es dann vorsichtig neben das karierte Tischtuch.
»Sollen wir zurückfahren?«
»Ich könnte ewig hierbleiben. Ich bin eine hoffnungslose Romantikerin. Oder sollte dir das entgangen sein?«
»Um ehrlich zu sein, nein. Habe in Texas nie jemanden getroffen, der so war wie du. Nicht mal halb so wie du.«
»Kann ich mir gut vorstellen. Schauspielerinnen sind verrückt.«
»Ja, aber du nicht.«
Im Schein der Sonne glänzte sein markantes Profil wie eine Bronzeskulptur. Ein Schauer lief ihr durch Beine und Brüste. Warum beugte er sich nicht herüber und küßte sie? Sie waren ganz allein.
Eine Seemöwe
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