Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Fremde Federn

Fremde Federn

Titel: Fremde Federn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
Vom Netzwerk:
wie ein Schuljunge. »Marguerite, Sie schmeicheln mir, aber ich bin immer noch verheiratet.«
    »Großer Gott, Sie ändern sich nie! Ich hasse Männer mit Prinzipien. Sind so verdammt überlegen.« Ein vorbeieilender Ober, der das hörte, erblaßte und hätte beinahe sein Tablett fallen lassen.
    Mit einem engen, zwei Zoll breiten Arrow-Kragen mit spitzen Enden, engen, abnehmbaren Manschetten und einem ebenso enganliegenden Anzug stand Paul in dem kleinen weißen Kreis des Karbonlichtbogens. Sein Pult stand am Bühnenrand, rechts von der Leinwand. Marguerite hatte für ihn einen Vortragssaal in der berühmten Musikakademie in der Vierzehnten Straße gemietet.
    Er konnte nur wenige helle, ovale Gesichter in den ersten Reihen und den Logen ausmachen. Er redete in die Dunkelheit hinein, während graue Bilder von Schützengräben über die Leinwand flackerten.
    »Vor den Schlußszenen muß ich Sie warnen. Ich habe sie voriges Jahr in Belgien gefilmt. Um zu verhindern, daß mich die Deutschen entdeckten, mußte ich mich mit meiner Kamera auf einem Heuboden verstecken.«
    Das Feld kam ins Bild; dann das halbe Dutzend Gefangene und das Exekutionskommando.
    »Wenn die Bilder zu aufwühlend sind, sehen Sie bitte weg. So ist die Wirklichkeit. Das ist das Gesicht des Feindes, der die Demokratie überall im Westen bedroht.«
    Als sich das erste Bajonett in ein Opfer bohrte, hörte Paul entsetztes Keuchen. Jemand auf der Galerie rief »Nein!«. Ein Mann in der dritten Reihe zog seine Frau auf den Seitengang, sie verließen den Saal. Andere Zuschauer standen auf und suchten ihre Sachen zusammen.
    Und das im englandfreundlichen New York.
    Die Szene war zu Ende. Die Projektionslampen erloschen. Paul stand allein im Lichtkreis. Entmutigt durch die Reaktionen, setzte er zu seiner Schlußbemerkung an, einer Ermahnung an das Publikum, sich die Frage einer amerikanischen Intervention gründlich zu überlegen. Er ließ keinen Zweifel daran, daß er sie für notwendig hielt, doch er stolperte mehrmals über die Stichworte auf seinen Notizzetteln, und seine Rede endete kraftlos. Spärlicher Applaus begleitete das Fallen des Vorhangs.
    In den Kulissen schüttelte der Inspizient Paul halbherzig die Hand und verschwand. Paul ging müde in seine kleine Garderobe, wo Marguerite auf ihn hätte warten sollen. Keine Spur von ihr; der Portier hatte sie ebenfalls nicht gesehen. Nach zwanzig Minuten trottete Paul über die Vierzehnte Straße zu Lüchow’s. Die Geräuschkulisse und die gehobene Stimmung im Restaurant schlugen ihm erst recht aufs Gemüt. Er ließ sein Essen stehen und kehrte im Nieselregen, der die Gehwege in glänzende Spiegel mit leuchtenden Farbflecken verwandelte, ins Astor zurück. Das überwältigende Gefühl, versagt zu haben, lastete tonnenschwer auf ihm.
    Am nächsten Tag erschienen nur wenige Kritiken seiner Präsentation. Der Kommentar der Sun entsprach dem allgemeinen Tenor: »Selten haben eineinhalb Stunden soviel Schauerliches und soviel Elend, um nicht zu sagen aufs äußerste abstoßende Bilder geboten. Szenen der deutschen Armee bei ihren täglichen Pflichten, so authentisch und anschaulich sie auch sein mögen, unterscheiden sich in nichts von denen anderer Armeen und tragen wenig zum besseren Verständnis des europäischen Konflikts bei. Der übermächtige Eindruck, den die Vorführung hinterläßt, ist von abscheulicher Häßlichkeit. Die Schlußszenen, die den Mord an sechs Belgiern zeigen, können in einer Tageszeitung, die in den Haushalten gelesen wird, nicht beschrieben werden. Der Berichterstatter Crown, fraglos ein talentierter, mutiger und in seinen Absichten aufrichtiger junger Mann, hat sein amerikanisches Publikum falsch eingeschätzt. Kriegsgreuel mag die Realität der Auseinandersetzungen wieder geben, ist jedoch keine Volksunterhaltung und sollte in einem Land, das nicht zu den Kriegsmächten gehört, keinesfalls gezeigt werden.«
    Am Samstag verlangten vierzig Leute am Kartenschalter ihr Geld zurück.
    Paul begann seine Reise nach Westen auf einer südlichen Route. Zwischen Vorträgen in Baltimore und Richmond sprach er im Weißen Haus mit einer Kopie der Hinrichtungsszenen vor. Er bat um ein Gespräch mit dem Präsidenten und hoffte, sein Empfehlungsschreiben als erfolgreicher Autor würde ihm Zutritt verschaffen. Ein Beamter wies ihn jedoch ab; der Präsident habe in nächster Zeit keinen freien Termin.
    Charleston, Atlanta, New Orleans, die staubigen Städte von Texas - die Verwalter der Säle

Weitere Kostenlose Bücher