Fremde Federn
mußte nach New York gehen, ich konnte nicht anders, aber ich weiß, wie sehr du darunter gelitten hast. Es tut mir leid. Wenn wir auch oft verschiedener Meinung sind, ich habe nie aufgehört, dich zu lieben.«
Seine kraftlosen Finger bewegten sich kaum spürbar. »Meine liebe Tochter.« Und dann, wie eine Segnung, sagte er noch ein Wort: »Vergeben.«
Ein übler Geruch stieg vom Bett auf. Hilflos suchten Fritzis Augen die kräftige Krankenschwester in dem dunklen Raum. »Er hat sich naß gemacht.«
Die Augen des Generals füllten sich mit Tränen der Scham. Sie berührte seine Hand. »Ruh dich aus, Papa. Ich schaue später wieder nach dir.« Eine Träne glitzerte im Schein der Lampe, die über seine Wange in die weißen Stoppeln rann.
85. BOMBEN
Paul erfuhr vom Schlaganfall des Generals, als er durch die Tür am Cheyne Walk trat. Ilsa hatte die Nachricht gekabelt. Er hoffte, daß er nicht dazu beigetragen hatte, was er aber nie erfahren würde. Wenigstens war sein Onkel noch am Leben.
Seit er zu Hause war, ging es Paul wesentlich besser. Und das, obwohl sein Sohn Shad auf jede Frage oder Bemerkung eine patzige Antwort gab. Shad war inzwischen ein großer, schlaksiger Junge. Er besuchte eine staatliche Schule auf dem Land. Betsy, mit ihren elf Jahren in den Anfängen der Pubertät, war noch immer ein folgsames, liebes Mädchen. Wie lange das allerdings noch dauern würde, konnten beide Eltern nicht vorhersagen.
Lottie war eine Nervensäge wie die meisten Fünfjährigen, aber Teddy, der Dreijährige, war gerade in einer jener Phasen der Folgsamkeit und Anhänglichkeit, die geplagte Mütter besonders lieben.
Die ausgezeichnete Köchin Phillipa verkündete, sie werde die Familie verlassen, um in einer Munitionsfabrik Zündschnüre für Granaten zu schneiden. Sie hatte viele Jahre mit guten Sheffield-Messern geschnitten und gewürfelt, jetzt machte sich ihre Kunst bezahlt. Julia hatte Verständnis dafür. Zusammen mit Hunderten anderer Frauen verbrachte sie etliche Stunden in einem schmutzigen Lagerhaus an einem provisorischen Tisch, um Verpflegungspakete für die Soldaten zu schnüren.
Paul und Sammy drehten auf selbständiger Basis Aufnahmen bei einer Jachtregatta und einem Hindernisrennen. Zusammenschnitte mehrerer Themen zu einer »Wochenschau« waren mittlerweile in den Vereinigten Staaten regelmäßig im Verleih. Paul verkaufte einiges an Wochenschauen von Pathe und Gaumont und übernahm Aufträge für eine neue Schau, die Hearst-Selig News Pictorial. Doch obwohl er immer wieder Aufträge hatte und keine Gefahr bestand, daß er und seine Familie darbten, war er unglücklich. Den Mißerfolg seiner Vortragsreise durch Amerika trug er wie ein unsichtbares Mal mit sich. Michael Radcliffe hatte Mitleid mit ihm. Mindestens einmal in der Woche gingen sie zusammen aus, um eine Kleinigkeit zu essen, ein Bier zu trinken und anschließend das Kino am Leicester Square zu besuchen. Nicht, um sich zu amüsieren, sondern um die bemerkenswerten Nachrichtenfilme der Regierung anzusehen.
Ein besonders aufwühlender Streifen zeigte mutige englische Soldaten, die sich den Bajonetten der deutschen Infanterie entgegenstellten. Die Deutschen führten sich auf wie Barbaren und stießen gnadenlos auf am Boden liegende Feinde ein, genau wie in Pauls Film aus Belgien. Die überlebenden Engländer zogen sich auf das andere Ufer eines Flusses zurück und verschanzten sich dort. Die Artillerie deckte ihren Rückzug, während sich die Deutschen zu einem zweiten Angriff formierten.
Granaten landeten im Fluß und ließen riesige Fontänen aufspritzen. Granaten explodierten auf der Uferseite, die in Feindeshand lag, und deutsche Soldaten flogen durch die Luft. Engländer mit zusammengebissenen Zähnen feuerten mit rauchenden Maschinengewehren, bis auch der letzte Gegner gefallen war. Dann schwenkten die Engländer ihre Helme und jubelten. Mutiger Einsatz lautete der eingeblendete Titel.
»Ich habe ein bißchen nachgeforscht«, sagte Michael. Er saß tief eingesunken in seinem Logenplatz und hielt eine brennende Zigarette zwischen den Fingern. »Erstunken und erlogen, von Anfang bis Ende.«
»Gestellt? Dachte ich mir doch gleich.« Paul hatte am Anfang seiner Laufbahn selbst bei etlichen gestellten Filmen mitgearbeitet.
»Ich kann dich an den Ort in der Nähe von Staines bringen, wo er gedreht wurde. Die sogenannten Deutschen sind einige unserer besten Jungs. Auf den Spitzen der Bajonette sind Schutzkappen. Eine Federvorrichtung am
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