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Fremde Federn

Fremde Federn

Titel: Fremde Federn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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verrückteste, verfluchte Krieg der Geschichte sein«, meinte Sammy Minuten vor der Bombardierung. »Die Kerle stehen nur in der Gegend rum, glotzen sich an und schießen aufeinander.« Sammy und Paul hatten eine Woche lang unter strengster Beobachtung alliierte Truppen gefilmt, ehe sie auf einem Umweg über das besetzte Brüssel an die Front gereist waren. Filme von den Engländern gingen an Lord Yorke; die Aufnahmen von den Deutschen waren für Pauls eigenes Archiv bestimmt.
    Die französischen Haubitzen feuerten ihre ersten Salven um vier Uhr. Paul hatte schon vor einiger Zeit aufgehört zu filmen, das nachmittägliche Winterlicht war zu dunkel geworden. Er stand mit Sammy in einem Schützengraben der vordersten Linie und spähte über eine Holzverschalung, die aus Kistenbrettern gezimmert war. Der zuständige Offizier des Abschnitts, Major Nagel, brüllte in ein Feldtelephon, während er sich das andere Ohr mit einem Finger zuhielt.
    Paul schlug den Kragen seines Überziehers hoch und kaute auf seiner kalten Zigarre. Im Niemandsland schleuderten Minen Erdfontänen empor, die Erdbrocken regneten auf sie nieder. Die Sperrfeuer der Artillerie, die von den Beobachtungsballons gesteuert wurden, rissen Löcher in den Stacheldraht, der kilometerweit in jede Richtung verlegt war, und erfüllten damit ihre Aufgabe - den Sturm der Infanterie zu ermöglichen.
    Im Niemandsland ragten einige minengeschädigte Bäume wie verbrannte Finger in den Himmel, Überbleibsel einer einst idyllischen Landschaft, die nun von wassergefüllten Kratern, Lehm und endlosen Rollen Draht entstellt war. Vor den Augen Pauls und Sammys wurde ein Baumstamm getroffen, der sofort in Flammen aufging und einen glühenden Funkenregen in alle Richtungen sprühte.
    Major Nagel trat zu ihnen. »In ungefähr einer Stunde müßten sie über die Hügel kommen. Immer das gleiche, schon den ganzen Monat. Die französischen Bastarde nennen es >uns zu Tode knabbern<.« Nagel, ein übergewichtiger Bayer, war irritiert über diese merkwürdige Art der Kriegführung und empört über die Lage, in die seine Männer dadurch gebracht wurden.
    Sammy und Paul traten rasch zur Seite, als zwei Maschinengewehrschützen aus den Sappen, den schmäleren Gräben, die zu vorgelagerten Geschützstellungen führten, unter Feuerschutz in den Schützengraben gerannt kamen. Die Männer hatten ihre Waffen, einen Dreifuß für die Lafetten und Munitionsgürtel bei sich. Weitere Schützen folgten ihnen. Nagel rief »Schnell, schnell« und scheuchte sie in dunkle Öffnungen in der Wand des Grabens. Genauso schnell, wie sie gekommen waren, waren die Schützen wieder verschwunden. »Was wir zu verteidigen versuchen, ist die Ausrüstung, nicht die Soldaten«, erklärte Nagel bitter.
    Major Nagels Stellung lag im Abschnitt zwischen Châlons-sur-Marne und Epernay im Departement Marne. Der Major und seine Männer standen Einheiten von Feldmarschall Fochs Neunter Armee gegenüber, ungefähr hundertvierzig Kilometer nordöstlich von Paris. Auf dem Weg zur Front hatten Paul und Sammy deutsche Soldaten gefilmt, die Wäsche wuschen, fröhlich ihre Mahlzeiten einnahmen, marschierten und sangen sowie riesige Skoda-Haubitzen und Große Bertas von Krupp warteten. Jede Szene war von hohen Offizieren sorgfältig arrangiert worden, um die Welt mit der Kampfmoral und der Ausrüstung der Deutschen zu beeindrucken. Bei näherem Hinsehen bemerkte Paul jedoch ganz anderes. Alle Truppen, selbst der frischeste Nachschub, wirkten schwach und verängstigt. Die prächtigen Uniformen des vergangenen Sommers waren verschwunden, ersetzt durch Tarnfarben und moderne Stahlhelme.
    Die deutschen Stellungen sollten die eroberten Gebiete den Winter über verteidigen. Jeder Graben war sechs Fuß tief; drei Bereitschaftsgräben verliefen parallel hinter dem vordersten Schützengraben. Im Zickzack angeordnete Gräben verbanden sie im rechten Winkel miteinander. Alles war ordentlich und genau abgesehen von dem Dreck, dem Geruch ungewaschener Kleidung und dem Gestank der Fäkalien, die aus den Latrinengräben quollen und von unzähligen Stiefeln in die Erde getrampelt wurden. Paul hatte sich fast über-geben, als er zum ersten Mal die Luft in den Stellungen einatmete. Nagel erklärte unwirsch, die ganze Westfront rieche nicht besser.
    Auch nach Einbruch der Dunkelheit ging die Bombardierung weiter. Nagel bestand darauf, daß Paul und Sammy in einen der Bunker gingen. Dort kauerten sie neben einer provisorischen Kohlenpfanne,

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