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Fremde Federn

Fremde Federn

Titel: Fremde Federn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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sich mit drei anderen Mietern zu dem heißen Haferschleim und dem säuerlich schmeckenden Kaffee hinunterschleppte, bei Schnee oder Nebel oder beißendem Regen zur Trambahn stapfte, um in der Piquette Avenue die Stechuhr zu drücken.
    Im Laufe des Winters vertiefte sich ihre Beziehung, und dadurch wurde dringlicher, was Carl sich letztendlich von Tess erhoffte. Er dachte jedesmal an diesen Augenblick, wenn er einen Nickel oder einen Penny aus der Schublade nahm, wo er allerlei Krimskrams aufbewahrte, darunter auch eine Packung Präservative.
    Ob Tess noch Jungfrau war? Bei ihrem forschen Auftreten hielt er es für unwahrscheinlich. Die Frage plagte ihn, weil er noch nie ein unberührtes Mädchen besessen hatte, und das auch jetzt nicht wollte. Andererseits war er sich seiner eigenen Willensstärke nicht so sicher. Würde er sich zurückhalten können, wenn sie ihm Bereitschaft signalisierte, obwohl sie Jungfrau war?
    Tess sagte, daß sie unter der Heimlichtuerei litt. Es war nicht ihre Art. Schließlich entschloß sie sich, ihrem Vater reinen Wein einzuschenken; sie erzählte Carl erst im nachhinein von dem Gespräch.
    Carl gelang es, seine Verärgerung zu verbergen. »Weiß er, daß wir uns ein- oder zweimal die Woche sehen?«
    »Das habe ich ihm nicht gesagt, aber ich bin sicher, daß er meine Abwesenheit von zu Hause richtig auslegt. Leider habe ich etwas überreagiert. Ich sagte, daß er kein Mitspracherecht hat, was meinen Verehrer anbelangt. Deshalb schneidet er mich seit zwei Tagen. Aber er wird darüber hinwegkommen.«
    »Es tut mir leid, daß ich dir soviel Schwierigkeiten bereite.«
    »So etwas darfst du nicht sagen.« Sie legte ihm einen Finger auf den Mund. »Niemals. Ich gehe für dich durchs Feuer, Carl.« Sie errötete. »Noch ein schamloses Geständnis. In deiner Gegenwart werden sie mir anscheinend zur Gewohnheit.«
    Bei ihren sonntäglichen Ausflügen nahmen Carl und Tess manchmal die Trambahn, aber wenn die Straßen frei von Schnee und Eis waren, fuhr sie ihren Sportwagen. Wenn sie keine andere Gelegenheit hatten, Zärtlichkeiten auszutauschen, versteckten sie sich hinter den Seitenvorhängen, die mit Druckknöpfen am Verdeck des Zweisitzers befestigt waren. Ihre Küsse wurden immer leidenschaftlicher. Mit der Zeit wurden alle ihre Zärtlichkeiten drängender und feuriger - so daß sie mit verschmiertem Lippenstift, geröteten Wangen, verrutschter Kleidung und zerzaustem Haar oft wie Varieteclowns aussahen. Warum nicht? Er liebte Tess und sagte ihr das auch. Sie erklärte, sie liebe ihn. Beide sagten es sich oft, es klang wie eine Gelübde in der Kirche. Tess sprach nie von der Zukunft und er auch nicht, außer wenn er sagte, daß er es gar nicht erwarten könne, im Frühling mit ihr zu einem Baseballspiel der Tigers im Burns Park zu gehen.
    Die Beliebtheit des Modell T sorgte für hektische Aktivität in der Fabrik. Man beschloß, eine zweite Schicht einzulegen und dafür Arbeiter einzustellen, aber in Detroit herrschte Mangel an Arbeitskräften. Der Kraftwagen hatte bei einem Großteil der Bevölkerung den Durchbruch geschafft; die Automobilfirmen nahmen rapiden Aufschwung. Couzens klagte, daß zehntausend Bestellungen für das Modell T vorlägen und eine ganze Legion gereizter Händler ungeduldig auf die Lieferung warte. Carl hatte keine Angst, seine Arbeit zu verlieren, es sei denn, er selbst hätte es gewollt.
    Eines Abends im April machte sich Carl auf den Weg zum Reparaturschuppen, um Jesse zur Hand zu gehen, aber Jesse war nicht dort. Er setzte sich und wartete, in Gedanken bei einem Auto, das ihm ins Auge gesprungen war, als er das Haus der Gibbs verlassen hatte. Es war ein schwarzer Zweisitzer von Clymer gewesen, der mit geschlossenem Verdeck und laufendem Motor auf der anderen Straßenseite gegen die Fahrtrichtung geparkt war. Als Carl zum Vordertor schritt, legte der Fahrer krachend den Gang ein und schoß davon. Im Schein der Straßenlaterne sah Carl eine Sekunde lang sein Gesicht. Er hätte schwören können, daß es Wayne Sykes gewesen war. Auf dem Weg zu Jesse überlegte er, ob er darüber lachen oder weinen sollte. Er wußte es wirklich nicht. Aber er wußte verdammt genau, daß er sich nicht gerne bespitzeln ließ.
    Vierzig Minuten später trat Jesse in den Schuppen. Unter seinem linken Auge klebte ein dickes, blutgetränktes Verbandspflaster.
    »Wo zum Teufel ist das passiert?«
    »Gießerei«, antwortete Jesse. »Ein paar ihrer Jungs warteten auf ein paar von uns, als die Sirene

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