Fremde Federn
kommt? Ich nicht, aber man erzählt sich, daß er wirklich eine Schau abzieht.«
»Würd’ es dir gefallen, für den Knaben zu fahren?« fragte Jesse.
»Das wär’ mir tausendmal lieber, als für den Rest meines Lebens ein Modell T nach dem anderen auszuliefern«, erwiderte Carl.
Nach der Rückkehr aus Ann Arbor traf Carl sich mit Tess zum Chiliessen auf dem Grand Boulevard. Er mußte sofort loswerden, was ihm auf der Seele lag.
»Es war ein verdammt schlechtes Rennen, aber ich habe eins erkannt: Es ist mir nicht so wichtig, ob ich gewinne oder verliere, wichtig ist bloß, daß ich fahre. Ich genieße die Geschwindigkeit bei einem Rennen, ich freue mich über jede Herausforderung, über jede aufregende Sekunde - und leider krieg’ ich nicht genug davon, solange ich einer geregelten Arbeit nachgehe. Ich weiß einfach nicht, wie lange ich es in dieser verdammten Fabrik noch aushalte.«
Tess rührte ihr Chili um, ließ ein paar Austernkräcker hineinfallen. »Du bist, wie du bist, Carl. Tu, was dir Spaß macht! Ich mische mich da nicht ein.«
Aber sie machte ein sorgenvolles Gesicht und war danach ziemlich schweigsam.
29. »DER SCHNELLSTE FAHRER DER WELT«
Berna Eli Oldfield behauptete von sich, der schnellste Fahrer der Welt zu sein. Er hielt alle möglichen Geschwindigkeitsrekorde und hatte sogar etliche der von ihm selbst aufgestellten durchbrochen. Sofern man mit einunddreißig Jahren eine Legende sein konnte, traf dies auf Barney Oldfield zu, und zwar sowohl in den Vereinigten Staaten als auch in Europa.
Autohersteller boten ihm schnelle Wagen und lukrative Verträge, damit er für sie fuhr. Er wechselte Autos und Firmen wie andere Hemden. Die in gewisser Weise eingebildete American Automobile Association, AAA, hatte ihn einmal wegen Nichterscheinens bei einem Rennen von ihren kommenden Ereignissen ausgeschlossen. Er mobilisierte seine Anhänger, die sich für ihn einsetzten, bis die AAA ihre Sperre aufhob.
Wo immer er erschien, zog er die Massen an. Die Menschen liebten ihn, weil er furchtlos und schillernd war. Er trug auffallende Spenzer und gestreifte Hemden, einen knöchellangen Mantel aus Seehundfell, der mindestens tausend Dollar wert war, und einen unschätzbar wertvollen Diamantring. Er rauchte kubanische Zigarren für zwei Dollar das Stück und verteilte Fünf-Dollar-Trinkgelder wie andere Bonbons. Hin und wieder ging er auf Sauftour und stürzte ab.
Er reiste in einem privaten Eisenbahnwagen mit seiner zweiten Frau Bess und seinem Terrier. Sein Team setzte sich zusammen aus einem Mann, der vorausfuhr und alle Vorbereitungen traf, zwei weiteren Fahrern und einer Crew, die für die Arbeit an den Boxen zuständig war. Er galt als Trinker, Frauenheld und eingefleischter Spieler, der kein Glück hatte. An einem einzigen Nachmittag verdiente er dreitausend Dollar, eine beträchtliche Summe für einen ungelernten und ungebildeten Burschen, der in einer Holzhütte in den Wäldern im Nordosten von Ohio das Licht der Welt erblickt hatte.
Oldfields Vorhut traf am Montag vor dem Rennen in Detroit ein.
Sein Mann nahm Kontakt auf mit dem Detroit Athletic Club, dem Rotary Club und anderen örtlichen Organisationen. Er schürte die Aufregung, mit der man Oldfields Versuch, seinen eigenen Rekord über eine Meile zu durchbrechen, und die Ankunft des Güterwaggons mit Oldfields drei Rennwagen im Hauptbahnhof von Detroit erwartete. Auf beiden Seiten des Waggons stand in großen Lettern zu lesen: BARNEY OLDFIELD - DER SCHNELLSTE FAHRER DER WELT
Am Freitag rollten Barney und sein Team in ihrem privaten Eisenbahnwagen in Detroit ein. Der Bürgermeister und mehrere hundert Bürger standen bereit, den schnellsten Fahrer der Welt zu begrüßen, als er auf die hintere Plattform trat, die Arme hoch über den Kopf riß und seinen Lieblingsgruß rief: »Sie alle kennen mich - Barney Old-field.« Und ob sie ihn kannten, das bestätigten die Schreie aus unzähligen Kehlen.
Carl hielt sich auf dem laufenden, indem er etwas für ihn ganz Ungewöhnliches tat, er las die Zeitungen. Sie brachten Photos und lange Berichte über den berühmten Fahrer. Carl fand, er sehe ziemlich durchschnittlich aus mit seinem runden Gesicht und dem dunklen Haar. Doch das koboldhafte, unbekümmerte Lächeln sicherte ihm die Herzen der Menschen.
Carl lud Tess zum Rennen ein, aber sie lehnte ab. Sie wolle ihm nicht im Wege stehen, wenn er, wie angekündigt, versuchen wolle, Oldfield kennenzulernen. Carl kannte Tess gut genug, um zu erraten,
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